Wie man sich vor Trollen schützt

von Eran
Übersetzung aus dem Englischen von Kurt Oertel

Teil 1: Das Grundproblem

Wir alle haben verschiedentlich mit ansehen müssen, wie heidnische Gruppen oder auch größere Vereine und Dachverbände durch innere Streitigkeiten zerstört wurden und zerfielen. In manchen Fällen ist das einfach nur Teil des natürlichen Kreislaufs von Entstehung und Zerfall, wobei sich etwas Überaltertes auflöst, um Platz für neues Wachstum zu ermöglichen. In anderen Fällen jedoch traf dieser Zerfall auch hoffnungsvolle heidnische Gruppierungen, die noch jung und unverbraucht wirkten. Dabei kam es nicht nur zu einer Zerstörung dieser Gruppen von innen heraus, sondern auch erfahrene Veteranen und hoch geachtete Personen, die das Heidentum lange Zeit hingebungsvoll mit aufgebaut hatten, fanden sich danach oft in einem Zustand völliger Desillusionierung wieder, weil sie dabei solche Verletzungen und Anfeindungen erlebt hatten, dass sie daran innerlich zerbrachen.

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Mythen der Alpen: Perchten, Klausen, Krampusse – modernes Brauchtum und die Wilde Jagd

von Uwe Ehrenhöfer

Toaset wie dös wildescht Meer,
röahret vürse, hindre!
S ischt im Gai huit s Müetes Heer
ka kui Rüeh it finde!

(nach Toni Gaßner-Wechs 1939)

Übersetzung aus dem Allgäuer Dialekt:
Toset wie das wilde Meer, röhrt von vorne und hinten.
Es ist im Land heut’ Wotans Heer, kann keine Ruhe finden.

Historischer Perchtenlauf
Historischer Perchtenlauf. Darstellung aus dem 19. Jahrhundert.

Erlebnisse eines Winters

Schladming / Österreich, am 27.11.2010:

Der Innenort dieses hauptsächlich vom Wintertourismus und der Nähe zum Dachsteinmassiv lebenden Örtchens kann in einem zehnminütigen Spaziergang durchschritten werden, der bei der örtlichen Brauerei beginnt und an den Bergbahnen und der „Tenne“ endet, einem fürchterlichen Restaurations- und Diskobunker im Pseudoalpinen Stil. Ab 18 Uhr an diesem Abend finden sich allmählich 40.000 Besucher ein und sammeln sich um die Hauptstraße, die durch metallene Absperrgitter gesichert ist. Der Innenort ist abgedunkelt, als sich zum Klang von hämmerndem Metal um 20 Uhr eine erste Gruppe wahrhaft „höllisch“ anmutender, in dunkles Fell gekleideter Gestalten durch die Umzugsgasse zu bewegen beginnt. In ihrem Schlepptau führen sie eiserne Karren mit gusseisernen Kesseln und darin flackerndem Feuer mit sich, ihre Masken sind wüste, aus Holz geschnitzte Fratzen mit großen, minotaurisch anmutenden Hörnern – und das ist nur der Anfang eines insgesamt tausend Larven zählenden Aufzuges aus wilden, dämonischen Gestalten, die teilweise auf bocksfußartigen Stelzen laufen und von denen die größten mit Hörnern deutlich über drei Meter hoch aufragen. Wenn einer aus dem Publikum unverschämt wird, dann springen die Krampusse drohend gegen das Geländer, und besonders ungebührliches Verhalten wird mit Schlägen von Weidenruten oder mit aus Tierschwänzen bestehenden Peitschen gestraft. Eine folgende Gruppe trägt silberne Menschengesichter, ist aber sonst ganz in Felllumpen gekleidet, einige tragen metallene Körbe am Rücken, in denen glimmendes Holz vor sich hin raucht, das die gesamte Promenade in einen grauen Nebel hüllt und alles mit seinem durchdringenden Geruch erfüllt. Holzgeschnitzte Teufelsfratzen mit bizarr verdrehten Mäulern und Augen tauchen aus der Dunkelheit auf, untermalt vom scheppernden Klang von Kuh- und Zugschellen in einem seltsamen, durch eine spezielle Laufweise bestimmten Rhythmus. Dazwischen tauchen vereinzelt Figuren im Ornat des katholischen Heiligen Sankt Nikolaus auf, der teils von einem sennenartigen, wilden Männlein mit Stab, Kiepe und Tannenzweigen begleitet wird, teils auch von weißen und schwarzen „Engeln“. Dann werden plötzlich mehrere Rauchbomben geworfen, aus denen dichter Qualm aufsteigt, der die ganze Hauptstraße vernebelt, und aus diesem weißen Rauch tauchen in weißes Fell gekleidete, gehörnte Figuren auf, deren geschnitzte Gesichter bärtige Männer darstellen. Zu ihrem tänzelnden Schritt tragen sie rot flammende Magnesiumfackeln, was alles in ein unwirkliches, rotorangenes Licht taucht. Dazu der typische Klang aus Rufhörnern …

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Gab es einen altnordischen Glauben an Wiedergeburt?

Zu den historischen Hintergründen der angeblichen Quellen

von Bil Linzie
Übersetzung aus dem Englischen von Kurt Oertel

1. Einführung

Germanisches Heidentum zählt heute wieder zu den „alternativen Religionen“, und es ist zumindest unter dem Aspekt einzigartig, dass man dort unter einer Vielzahl nachtodlicher Vorstellungen wählen kann. Spätestens gegen Ende der Wikingerzeit gab es mindestens vier solcher Varianten, die in den schriftlichen Quellen dingfest gemacht werden können. Es gibt noch weitere, die sich möglicherweise aber erst nach der Bekehrung entwickelten. Dieser Artikel aber beschäftigt sich ausschließlich mit einer dieser Vorstellungen – dem immer hauptsächlich von armanisch beeinflussten Heiden postulierten Glauben an Reinkarnation bzw. Wiedergeburt bei den Germanen.

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Die geheime Weltregierung tagt in Tibet

von Hermann Ritter

Stichworte wie das rassische Wissen aus dem Rückenmark, die Schwarze Sonne, die angebliche Herkunft der Olmeken von den Wikingern, der Gral und seine Bindung an europäische Herrscherhäuser, deutsche Atombomben und Nurflügelbomber haben wieder Hochkonjunktur. Verschwörungstheorien scheinen allgemein der Zeitqualität zu entsprechen.

Die meisten Menschen, die sich mit den genannten esoterischen Themen beschäftigen, führen ihr Leben sehr wohl in Teilen rational und glauben, dass sie einer gewissen Rationalität huldigen; man kann rational sein beim Schuhkauf – aber auf einmal glaubt man an die Verbindung zwischen Außerirdischen und Nazis oder an geheime Atomwaffenprojekte des III. Reichs.

Faustpfand ist und bleibt hier die Aufklärung; der Versuch, rationell mit den Fragen umzugehen, um Antworten zu finden, die aus dem Hirn und nicht dem Bauch gespeist werden. Symbole haben Macht. Mythen wachsen mit der Zeit mit; Begriffe/Symbole als Mythen haben Macht und werden in Besitz genommen, wenn sie nicht besetzt sind. So müssen wir damit leben, dass Begriffe, die wir selbst nicht nutzen, (wieder) an jene fallen, die mit ihnen Missbrauch betreiben. In vielen Fällen werden neue Mythen, neue Symbole erschaffen und durch die Verschwörungsliteratur mit Bedeutung „aufgeladen“. Hier gilt es nicht, eine Rückeroberung der Begrifflichkeiten einzuleiten, sondern darauf hinzuweisen, aus welchen Quellen sich diese nähren.

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Der germanische Mondkalender

von Peter Walthard

Dass der Kalender unserer germanischen Vorfahren in den Wirren der Geschichte unwiederbringlich verloren gegangen ist, wird uns immer wieder dann schmerzlich bewusst, wenn wir die Feste des Jahreslaufes feiern wollen und und uns dabei auf einen päpstlichen Kalender verlassen müssen, der die Jahre nach der angeblichen Geburt der obskuren „Gottheit“ Jesus Christus zählt. Der Wunsch nach einem eigenen Kalender, der dem verlorenen germanischen möglichst nahe kommt, erhebt sich an immer mehr heidnischen Herdfeuern. Dabei ist über die Zeitmessung der alten Germanen erstaunlich viel bekannt, auch existieren bereits mehrere rekonstruierte Kalender. Snorri Sturluson und Beda Venerabilis hinterließen uns außerdem zwei detaillierte Beschreibungen germanisch-heidnischer Kalender.

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Zieh mit den Wölfen Krieger in der Vergangenheit – und Gegenwart?

Eine historische wie auch persönliche Betrachtung eines Begriffes

von Alex Jahnke

Einleitung

„Der Krieger“ – ein Begriff, der in Asatrukreisen häufig diskutiert wird und dem kaum jemand neutral gegenübersteht. Die Haltung reicht dabei von romantisierten ritterlichen Vorstellungen bis hin zu absoluter Ablehnung als brutalem Relikt der Vergangenheit. Dieser Artikel versucht, als Bindeglied zwischen den Meinungen zu fungieren und aufzuzeigen, warum das Kriegerbild heute nicht überholt ist, als auch, warum eine romantisierte Vorstellung aufgrund des fehlenden sozialen Hintergrundes falsch ist. Dabei werden die grundlegenden Riten und Rituale der Krieger durch die Zeit aufgezeigt und ihre bis heute andauernde Existenz dargelegt.

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Osterquellen

von Petra Bolte

In der Ortschaft im Süden Schleswig-Holsteins, in der ich wohne, gibt es eine Osterquelle. So jedenfalls laut Internetauftritt der Stadt. Nach über 15 Jahren in diesem Ort hatte ich bis 2007 jedoch nie zuvor davon gehört. Erste Recherchen förderten nicht nur die heimische Osterquelle zutage, sondern auch weitere in ganz Deutschland. Und so kam ich dazu, zunächst der Osterquelle bei mir zu Hause buchstäblich „auf den Grund“ zu gehen und anschließend vier weiteren im Norden und Osten Deutschlands.

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Wo Odin sich Rat holt – Eine Annäherung an Mímir und Odins Auge im Brunnen

von Kurt Oertel

1. Die Quellen

Bekanntlich hat Odin eines seiner Augen als „Pfand“ in Mímirs Brunnen hinterlegt. Wofür genau dies als Pfand dienen soll, wird nirgendwo deutlich, es scheint viel mehr eher als Preis dafür verstanden zu werden, dass Odin einen Schluck aus diesem Brunnen nehmen durfte, wodurch ihm Weisheit und Wissen zuteil wurde. Nüchtern betrachtet ist das ein recht seltsamer Handel, denn welchen Gewinn oder Nutzen soll Mímir davon haben, dass Odins Auge nun in dem Brunnen ruht? Gänzlich unverständlich wird die Sache aber, wenn man dann noch erfahren muss, dass Mímir ausgerechnet „Odins Pfand“ – also sein Auge – als Trinkgefäß benutzt, Was soll das nun wieder bedeuten?

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Zaubern ohne Gott?

von Hermann Ritter

Vorbemerkung

„Das einzige, was der wahre Mensch aber wirklich besitzen kann, ist sein eigenes Ich. Alles andere ist das Nichts, in das wir eines Tages zurückkehren.“1

Ein Text wie dieser kann keinen allgemeinen Zuspruch erwarten. Das Fragezeichen im Titel impliziert, dass ich eine Frage stelle, die ich – soweit möglich – beantworte. Das heißt aber nicht, dass jeder Mensch, der sich mit dieser Frage beschäftigt, zu den selben Antworten kommen muss wie ich. Ganz im Gegenteil. Es ist unsere Vielfalt, aus der wir Nutzen ziehen sollten, nicht unsere Einförmigkeit.

Ich möchte auch einleitend darauf hinweisen, dass ich „Gott“ im Titel und im Text gerne durch „Göttin“ oder „Göttliches“ ersetzen kann – ich finde „Gott“ als Begriff hier lesbarer und für mich nachvollziehbarer. Man möge Nachsicht mit mir üben.

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Wie schreibt man eigentlich in Runen?

von Kurt Oertel

Der als Frage formulierte Titel dieses Beitrages mag auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, da Runenkenntnis vielen Ásatrú-Anhängern als grundsätzliches Glaubensgut ihrer Religion gilt. Das beschränkt sich bei den meisten allerdings auf Beschäftigung mit den magisch-esoterischen Bedeutungen der Einzelrunen des älteren Futhark, erstreckt sich aber selten auf die „wirklichen“ Runen, also tatsächliche Inschriften. Das soll keinesfalls abfällig gemeint sein, denn diese Inschriften sind in Sprachen verfasst, für deren Verständnis man sie studiert haben muss und die zudem in ihrer überwältigenden Mehrzahl in unterschiedlichen Formen des jüngeren Futhark (korrekter: Futhork) ausgeführt sind.

Aber um diesen Aspekt soll es hier und jetzt gar nicht gehen, sondern vielmehr darum, wie man heutiges Deutsch möglichst authentisch in runische Schreibweise umsetzen kann, wenn einem – aus welchen Gründen auch immer – daran gelegen ist. Angesichts der oft peinlichen Unbeholfenheit, die einem vor allem im Internet dabei immer wieder begegnet, möchte ich hier einfach ein paar sinnvolle Vorschläge aus fachwissenschaftlicher Sicht zu den Problemen und ihrer möglichen Lösung äußern.

Zunächst einmal die Frage: Warum sollte man heutiges Deutsch überhaupt runisch schreiben? Die möglichen Gründe dafür sind vielfältig und durchweg legitim:

1. Ganz allgemein macht nichts mehr und schneller mit den Lautwerten und Formen der Runen vertraut, als Schreibübungen in heutiger Sprache, woran manche ja auch einfach nur große Freude haben. Und es ist immer wieder erstaunlich, wie viele Menschen über eine eher zufällige Begegnung mit den Runen zu Ásatrú finden.

2. Heidnische Künstler und Handwerker nutzen oft Runen, um ihre Werke ästhetisch zu bereichern. Besonders hier ergibt sich die Notwendigkeit, überzeugende Lösungen für Inschriften in heutigem Deutsch zu finden, damit die Wirkung einer oft handwerklich-künstlerisch gelungenen Arbeit nicht durch eine eher unglückliche Verwendung von Runen geschmälert wird.

3. Kinder in einem bestimmten Alter sind von Geheimschriften fasziniert, die ihre Altersgenossen nicht lesen können, durch die sie aber mit Gleichgesinnten kommunizieren können. Hier bietet sich für Eltern also ein ein pädagogisches Betätigungsfeld, Runenkenntnis in reizvollem Kontext an den Nachwuchs weiterzugeben, wobei es ohne reichhaltige Schreibübungen nicht geht.

4. Und dann gibt es da noch den magischen Kontext, in dem Runen immer noch häufige Verwendung finden. Wer dabei allerdings meint, unbedingt authentische altnordische Formeln nutzen zu müssen, die man in einem entsprechenden Fachbuch entdeckt hat, sollte konsequenterweise die Authentizität dann aber auch bei der Ritzung der Runen umsetzen, indem dazu das jüngere Futhark mit seinen ganz eigenen und nicht ganz einfachen Regeln genutzt wird. Altnordische Texte in Runen des älteren Futhark ausdrücken zu wollen, ist zwar nicht unmöglich, wenn man einige von dessen Lautwerten manipuliert, eine solche Ignoranz gegenüber der eigenen religiösen und kulturgeschichtlichen Tradition sollte aber gerade von Heiden doch lieber vermieden werden.

Als sich im frühen Mittelalter die vormals einheitliche germanische Sprache in verschiedene Zweige aufzuspalten und sich das Nordgermanische als eigenständige Variante zu entwickeln begann, wurde offenbar empfunden, dass das ältere Futhark dem nicht mehr gerecht werden konnte. Deshalb wurden in Form der angelsächsischen und skandinavischen Varianten neue Formen entwickelt, die den veränderten Sprachformen auch lautlich Rechnung tragen konnten. Im ersten Fall wurden etliche neue und zusätzliche Runenformen entwickelt, was die naheliegendste Lösung des Problems darstellte. In den Formen des jüngeren Futhark Skandinaviens dagegen ging man einen umgekehrten Weg: Im Lauf des 7. bis 8. Jahrhunderts reduzierte man die 24 Zeichen auf 16, wobei sie in etlichen Fällen nicht nur graphisch ganz neu gestaltet wurden, sondern nun auch noch für unterschiedliche Phoneme (Lauteinheiten) stehen konnten – ein intellektuell erstaunlicher und in der Schriftgeschichte recht einzigartiger Prozess, dessen genaue Hintergründe in vielen Aspekten noch unklar sind. Wirklich nötig gewesen wäre das aus heutiger Sicht in dieser Radikalität nämlich nicht, sondern man hätte den überlieferten Runen in Einzelfällen einfach neue Lautwerte zuordnen können.

Wenn bereits mit dem Übergang zur skandinavischen Vendelzeit solches als nötig erachtet wurde, bringt unser Hochdeutsch uns bezüglich des älteren Futhark aber erst recht in eine Notsituation. Das allerdings liegt weniger an unserer Sprache, sondern viel mehr an unserem lateinischen Alphabet und unseren heutigen Regeln der Rechtschreibung. Die sich daraus ergebenden Probleme können aber leicht umgangen bzw. gelöst werden, wenn man sich zunächst einmal die absolute und eiserne Grundregel authentisch-runischer Schreibweise zu eigen macht, auf der auch alle folgenden Ausführungen beruhen, dass Wörter nämlich immer genau so geschrieben werden, wie sie auch ausgesprochen werden.

Gerade unter diesem Aspekt stellt der häufigste Fehler die Benutzung von KAUNAN bei der im Deutschen so häufigen Lautverbindung CH und SCH dar, wie man es regelmäßig findet. KAUNAN hat immer nur den Lautwert K verkörpert, deshalb ist die Rune zur Darstellung in dieser Lautverbindung völlig ungeeignet. Angesichts dessen, dass sowohl im Gemeingermanischen wie im Altnordischen das H eine wesentlich gutturalere Qualität hatte, also eher so ausgesprochen wurde, wie unser CH in „machen“, verbietet sich KAUNAN hier sowieso. Ein einfaches HAGLAZ für jedes CH, bzw. SOWILO-HAGLAZ für SCH wäre hier also gleichermaßen logischer wie befriedigender und völlig ausreichend. Eine zusätzliche individuelle Lösung könnte die Verwendung der unterschiedlichen HAGLAZ-Formen in der nordischen und kontinentalen Variante mit einem oder zwei „Zweigen“ (in diesem Fall Querstrichen) sein, die man für die verschiedenen lautlichen Qualitäten des deutschen CH nutzen könnte (z.B. bei der unterschiedlichen Aussprache des Lautes in „wachen“ und „weichen“). Im Fall einer weiteren Lautverbindung des CH käme KAUNAN aber sehr wohl zum Einsatz, nämlich z.B. bei „wachsen“, das runisch zu „waksen“ würde.

Der zweite häufige (und weit peinlichere) Fehler findet sich im Fall von ALGIZ. In den gängigen runischen Umschrifttabellen wird der Lautwert mit Z transkribiert, was aber sehr missverständlich ist. Dieses Z steht lautschriftlich nämlich für ein stimmhaftes („weiches“ bzw. „summendes“) S, wofür gerade viele der Runennamen mit ihrer Endung das nächstliegende Beispiel darstellen. Die meisten Heiden dürften (hoffentlich) verinnerlicht haben, dass z.B. der Runenname ANSUZ eben nicht „Ansutz“ ausgesprochen wird. Im Germanischen fand sich ein solch stimmhaftes S nie im Anlaut, sondern immer nur am Ende eines Wortes. Das ist im heutigen Deutschen genau umgekehrt, wo das S am Wortanfang immer stimmhaft ist, ein solches am Wortende aber nicht mehr existiert. Lediglich in einigen süddeutschen Dialektgebieten hat sich das stimmlose („scharfe“ bzw. „zischende9) S als Anlaut erhalten. Die klare Konsequenz wäre also: SOWILO für stimmloses und ALGIZ für stimmhaftes S. Allerdings spräche im Sinne einer Vereinfachung auch wenig dagegen, ALGIZ ganz fallen zu lassen und SOWILO für beide Formen des S wie auch für das -ß- zu verwenden, dessen Lautgestalt ja nicht von dem stimmlosen S abweicht. Das deutsche Z wiederum wäre seiner Aussprache als TS wegen folgerichtig durch TIWAZ-SOWILO auszudrücken. Die „Wurzel“ würde runisch also zur „Wurtsel“.

Die deutschen Umlaute sind einfach in den Griff zu bekommen: Entweder macht man sie wie in der alten deutschen Schriftsprache durch ein dem Vokal angehängtes E deutlich, oder man belässt es bei dem einfachen Vokal – ein ebenfalls legitimes Vorgehen, wenn man die Praxis im jüngeren Futhark bedenkt, wo die entsprechenden Runen ganz unterschiedliche Vokale und auch Umlaute repräsentieren konnten. Angesichts späterer Tradition „punktierter“ Runen, wobei z.B. das K des jüngeren Futhark mit einem Punkt über dem Zweig zum G wurde, wäre somit auch die Punktierung wie in der heutigen Schriftsprache eine gangbare Möglichkeit für individuelle Lösungen bei den Umlauten.

Unser lateinisches Alphabet beinhaltet seiner Herkunft wegen einige für die deutsche Sprache völlig überflüssige Buchstaben, die aber gerade deshalb einfach zu umgehen sind. Da haben wir zunächst das Q. Da es allerdings nur in der Kombination QU auftaucht, ist die Auflösung KAUNAN-WUNJO die naheliegendste Lösung. Die „Quelle“ würde runisch somit zur „Kwelle“. Der nächste Fall ist das V, das seiner Aussprache als F wegen durch FEHU darzustellen wäre. Das seltene X ist natürlich einfach als KAUNAN-SOWILO aufzulösen, da seine lautliche Qualität z.B. in „mixen“ keinen Unterschied zu dem identischen Laut in „wachsen“ darstellt. Der dritte dieser exotischen Buchstaben ist das Y, das als gesprochenes Ü den im letzten Abschnitt vorgeschlagenen Umlautregeln unterliegen würde. Der letzte zu dieser Gruppe gehörende Buchstabe ist das Z, dessen Umsetzung bereits im vorletzten Abschnitt behandelt wurde. Auch im Futhark wird allerdings eine Rune für unsere Sprache überflüssig, nämlich ÞURISAZ, da das damit ausgedrückte stimmlose TH (wie im englischen „thing“) im Deutschen nicht mehr existiert. Dieser Aussprache wegen verbietet sich die Verwendung der Rune auch in den Fällen, wo die Buchstabenverbindung TH im Deutschen auftaucht („Theorie“ oder „Nothilfe“).

Als letzter Fall bleiben die Diphthonge. Mit diesem Begriff bezeichnet man in der Sprachwissenschaft zusammengesetzte Laute, wobei im heutigen Deutschen für unser Thema nur zwei von Bedeutung sind: EU und EI. Da EU (wie auch ÄU) als OI gesprochen wird, würde nach runischer Praxis der „Beutel“ also zum „Boitel“. Schwieriger wird es es bei dem häufigen EI (gesprochen als AI). Das liegt daran, dass es einige Unsicherheit darüber gibt, für welche Laute die Runen ISAZ und IWAZ ursprünglich standen. Man vermutet, dass ISAZ sich aus EISAZ entwickelt hat und anfangs für den Diphtong EI bzw. ÄI stand, wohingegen das I durch IWAZ ausgedrückt wurde. Da sich durch Wandel der Sprache aber schon früh dieser Diphthong verlor und zum I wandelte, wurde EISAZ zu ISAZ, wodurch IWAZ nun überflüssig wurde. Das würde auch erklären, warum IWAZ nur in ältesten Inschriften auftaucht und danach schnell völlig außer Gebrauch geriet. Unser heutiges EI könnte man zwar einfach durch ANSUZ-ISAZ ausdrücken (das „Bein“ würde also zum „Bain“), man könnte für diesen Diphthong aber auch die „Eibenrune“ IWAZ reaktivieren. Da sich der Rune sonst kein anderer Laut zuweisen ließe, würde sie andernfalls genau so überflüssig wie ÞURISAZ. Das hätte auch den praktischen Vorteil, dass man diese im Deutschen sehr häufige Lautverbindung durch eine einzige Rune ausdrücken könnte. Ganz streng genommen wäre es sprachgeschichtlich zwar umgekehrt korrekter (IWAZ für I und ISAZ für EI), dafür aber dürfte ISAZ für I heute einfach zu verwurzelt zu sein. Kein Diphthong, aber ebenfalls ein zusammengesetzter Laut, nämlich unser NG, wird von der Rune INGWAZ dargestellt. Die darf man dann auch gerne für den entsprechenden Laut nutzen, so z.B. in „Ring“, nicht aber, wenn die Buchstabenverbindung anders ausgesprochen wird, wie z.B. in „Birkengrün“.

Zum Schluss noch ein paar Hinweise für diejenigen, die es ganz und gar authentisch haben möchten: Nasale (im Deutschen N und M) vor homorganen (an derselben Stelle im Mund gebildeten) Konsonanten wurden runisch nicht geschrieben. Das würde sich im Deutschen auf die Lautverbindungen NT bzw. ND und MP bzw. MB beschränken. An Hand eines konkreten Beispiels: In dem Wort „Winter“ würde das N wegfallen, wie auch das M in dem Wort „Pumpe“. Warum das so war, wissen wir nicht. Die in diesem Fall naheliegendste Erklärung dafür ist aber, dass die Aussprache des Nasals dabei so vage war, dass er als eigenständiges Phonem lautlich kaum erkennbar war. Doppelkonsonanten, die eine Kurzsprechung des vorangehenden Vokals signalisieren („Hütte“), waren runisch genauso ungeläufig wie das Gegenteil, nämlich die Dehnung des Vokals durch angehängtes H („Reh“), Vokalverdoppelung („Klee“), ein dem I angehängtes E („Knie“) oder gar Kombination dieser Mittel („Vieh“). Die Anwendung auch dieser Regeln würde allerdings heißen, die Authentizität bis an die Schmerzgrenze zu treiben, da bei ihrer Anwendung das Ergebnis zunehmend unverständlicher würde und Falschlesungen vorprogrammiert wären, weil dann z.B. die „Ratte“ zu einer „Rate“ und die „Hütte“ zur Mehrzahl von „Hut“ würden. Auch das zur Verkürzung des vorhergehenden Vokals dienende CK mag man im Einzelfall durch verdoppeltes K ausdrücken, um die „Backe“ nicht zur „Bake“ werden zu lassen.

Diese Vorschläge und ihre Umsetzung mögen manchen zunächst sehr gewöhnungsbedürftig erscheinen. Abgesehen davon, dass sie sowieso lediglich als reine Anregung für die gedacht sind, die Bedarf dafür und/oder Freude an entsprechenden Versuchen haben, sprechen aber zwei gewichtige Gründe für diesen Lösungsweg: Zum einen ist man damit auf einen Schlag alle Probleme los, die sich aus der starren Übertragung unseres Alphabets bzw. unserer Rechtschreibregeln dabei sonst immer ergeben, und zum anderen würde man damit authentisch genau der historischen Praxis der Runenmeister aus alter Zeit folgen.

Anmerkung

Im Fall der Wahl und Schreibweise der erschlossenen ältesten Runennamen bin ich in diesem Beitrag den bei Düwel angegebenen Formen der deutschen Forschungstradition gefolgt, also KAUNAN statt KENAZ, LAGUZ statt LAUKAZ usw.:

Düwel, Klaus: Runenkunde. 3. Aufl., Stuttgart 2001. (Sammlung Metzler, 72)

Erschienen 2008 in Herdfeuer 22

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