Von den Beschwernissen der letzten Reise – Jenseitsvorstellungen und Seelenglaube

von Kurt Oertel

In einer Veröffentlichung über Moorfunde in Schleswig-Holstein schreibt der Archäologe Herbert Jankuhn:

„Bei Lottorf im Kreise Schleswig gibt es ein kleines Moor, in dem über zehn Lederschuhe, z.T. abgetragene Stücke, gefunden wurden, und da einzelne Schuhe auch in anderen Mooren auftreten, muß hier ein fest umrissener Brauch vorliegen, der es erforderte, daß aus bestimmten Anlässen oder zu ganz bestimmten Zwecken Schuhe auf Mooren niedergelegt wurden. Welche Gedanken die Menschen der alten Zeit damit verbanden, wissen wir nicht.“ 1

Das wissen wir in der Tat nicht. Eine Betrachtung anderer Quellen aber könnte den Blick immerhin in eine bestimmte Richtung lenken. Schuhe waren nämlich auch ein wichtiger Bestandteil des Totenbrauchtums, und die damit verbundenen Vorstellungen, die auf heidnische Denkmuster zurückgreifen dürften, sind dabei noch deutlich erkennbar. Die sogenannten Totenschuhe, auch Hel-Schuhe genannt (altnordisch: helskór) gehörten zu den wichtigsten Dingen, mit denen man Verstorbene auszustatten hatte. Natürlich steht dahinter zunächst einmal die sehr real gedachte Reise in die Jenseitswelt, die der Verstorbene anzutreten hatte, und für die gutes Schuhwerk als genauso unerläßlich galt wie weitere Grabbeigaben auch. Nun gibt es aber eine wenig beachtete Quelle, die heutigen Heiden allein schon deshalb unbekannt ist, weil sie erstmals 1979 vollständig und mit einer deutschen Übersetzung versehen veröffentlicht wurde,2 und die uns möglicherweise interessante Detaileinblicke eröffnet.

Im Winter des Jahres 1189 fiel der im heutigen Großharrie bei Neumünster lebende holsteinische Kätner Gottschalk in eine Art Koma, das so totenähnlich war, dass seine Mitmenschen ihn bereits für verstorben hielten. Nach einigen Tagen aber kam er wieder zu sich und berichtete seinen verblüfften Zeitgenossen von einer Jenseitsreise, die er in seinem komatösen Zustand angetreten hatte und die von solch visionärer Kraft war, dass zwei lokale geistliche Chronisten unabhängig voneinander seine Erzählung aufzeichneten. Natürlich hat Gottschalks Jenseitsvision, die auch heute noch äußerst kurzweilig zu lesen ist, über weite Strecken unverkennbar christliche Züge. Einige Teile aber scheinen klar heidnischen Ursprungs zu sein, was auch kaum verwundern kann: Holstein war zu der Zeit eigentlich noch Missionsland, in dem es ganze sechs Kirchen gab. Die zu der Zeit in Ost-Holstein siedelnden Slawen waren noch ganz und gar heidnisch, während im übrigen Land noch eine Generation zuvor Sachsenrecht und Blutrache geherrscht hatten und ein Christentum bestenfalls dem Namen nach existierte. Die christliche Lehre, so wie sie der Analphabet Gottschalk kannte, kann ihm also bestenfalls durch die sporadischen Predigten der Geistlichen in Neumünster vermittelt worden sein, während sein alltägliches bäuerliches Umfeld noch voll von heidnischem Brauchtum und Glauben gewesen sein muss. Darüber hinaus stellt der lange Text aber auch insofern einen kaum glaublichen Glücksfall dar, als hier erstmals ausführlich ein Angehöriger eben jener ärmlichsten bäuerlichen sozialen Schicht zu Wort kommt, die für uns ansonsten noch über viele Jahrhunderte stumm bleiben wird. Aber lassen wir Gottschalk selbst erzählen, welcher Beschaffenheit der Weg in die Anderswelt war, auf dem ihn zwei Wesen leiteten, die ihm als Engel erschienen:

„Als wir aber etwa zwei Meilen auf unserem Wege zurückgelegt hatten, kamen wir endlich zu einem Baum, den man Linde nennt. Er lud gewaltig in die Breite aus, ragte aber nur bis zu mittlerer Höhe aus, war auch sehr schön anzusehen, und in seiner Krone schwebte ein Engel, als wäre er in der Luft. Der Baum war über alle seine Zweige hin mit einer unzähligen Menge von Schuhen bestückt, und der in der Luft schwebende Engel ließ sich mit wundersamer Leichtigkeit herab und verteilte sie an die Ankommenden nach dem Maß ihrer verdienstlichen Taten. Da streckten vierzehn aus dem Zuge der uns Folgenden, die sich wohl Verdienste erworben hatten, ihre Hände aus, um die Schuhe in Empfang zu nehmen, die der Engel, der durch die Lüfte herabgeglitten war, ihnen freundlich hinreichte. Während sie diese nun ihren Füßen anpaßten und mit den daranhängenden Binderiemen ganz fest zuschnürten, fragte ich die Engel, nach welchen Verdiensten und zu welchem Zweck sie die Schuhe vor den anderen bekommen hätten. Und der eine von ihnen eröffnete mir die Lösung des Rätsels und sagte: ‚Gewiß haben sie sich mit Werken der Barmherzigkeit diese Gnade verdient, weil sie Armen und Bedürftigen mit Kleidung und Schuhwerk ausgeholfen haben. Wie nötig sie aber sind, das wirst du gleich erleben, denn sieh, da vorn öffnet sich ein Feld – schau nur weit voraus – das nur für Schuhträger begehbar sein wird.‘ Und siehe, da kamen wir nach einer kurzen Wegstrecke schnell zu eben diesem Feld. Da gab es keinen Platz zum Ausweichen, sondern der Weg führte mitten hindurch. Aber alles, was mir in jener Welt zu schauen verstattet war, unterschied sich nach Gestalt und Aussehen weit von dem, was es in der irdischen Welt zu sehen gibt. Deshalb muss ich, um überhaupt etwas zu sagen, Wörter und Beispiele aus dieser sichtbaren Welt wählen. So war die gesamte Oberfläche des Feldes mit einer Art nadelspitzer Stacheln besetzt und starrte dicht an dicht vor scharfen Borsten: ein Feld des Schreckens, dehnte es sich über etwa zwei Meilen hin. Wer also Schuhe an den Füßen trug, ging ohne Beschwerden sicher darüber. Die Barfüßigen aber – schwer zu sagen, welche Schmerzen und Qualen sie durchzustehen hatten. Denn wenn ihre Füße von den spitzen Stacheln verletzt und durchstochen worden waren, stützten sie sich statt der verletzten auf noch unversehrte Gliedmaßen, bis sie, am ganzen Leibe zerstochen und zerschunden, diesen Leidensweg unter größter Mühsal zu Ende brachten. Ich selber aber – nun, ich war nur ein Stückchen vorwärtsgegangen, und schon brach ich bei der fürchterlichen Verletzung der Füße zusammen. Da aber meine Führer mich aufstehen hießen und ich bei dem quälenden Schmerz nicht gehorchen konnte, kehrte der eine von ihnen zu dem Baum um und holte von da zwei Schuhe herunter. Die zog ich an und brachte dann ohne Mühe und Schmerzen den begonnenen Weg hinter mich.3

Was aber könnte uns nun zu der Annahme berechtigen, diese Dornenheide sei Teil des allgemeinen Jenseitsglaubens und nicht nur eine persönliche Vision Gottschalks gewesen? Seltsamerweise ist dieses Detail auch in anderen Quellen gut belegt, die geographisch und zeitlich weit auseinander liegen. So berichtet bereits Grimm von dem im englischen Yorkshire belegten Glauben, das Schenken von Schuhen an Bedürftige sei deshalb von besonderer Wichtigkeit, weil man nach dem Tode zunächst durch das whinny moor, ein mit schrecklichen Dornen besetztes Land wandern müsse.4 Hat man zu Lebzeiten aber ein Paar Schuhe verschenkt, so erwartet einen im Jenseits ein alter Mann, der einem genau dieses Paar Schuhe überreicht, mit deren Hilfe man diese Dornenheide gefahrlos durchschreiten kann. Ob dieser „alte Mann“ eine Erinnerung an Wodan/Odin selbst ist, der ja zuallererst Gott der Toten war, ist dabei schwer zu sagen. Möglich aber ist das sehr wohl. Aus dem Elsass ist die Sage vom Tod einer Frau im Kindbett überliefert, die bereits in der ersten Nacht nach ihrem Begräbnis zurückkehrt, an das Fenster klopft und sich bitter darüber beklagt, dass man ihr keine Schuhe mitgegeben habe, denn sie müsse durch Disteln und Dornen wandern. Und auch eine Tiroler Legende berichtet von einer mildtätigen Jungfrau, die ihre einzigen Schuhe an Arme verschenkt und eben dieses Paar Schuhe nach ihrem Tod dann vor der Wanderung durch die Dornenheide an einem Busch hängend findet. Die Vorstellung dieser Dornenheide, die man nach dem Tod zu durchschreiten habe, lässt gerade angesichts dieser extrem weiten geographischen Verbreitung also ein beträchtliches Alter und eine vorchristliche Herkunft vermuten. Um so erklärlicher erscheint in diesem Licht auch die Ausstattung der Toten mit gutem Schuhwerk, um ihnen den Weg durch die Dornenheide in jedem Fall zu erleichtern und dafür nicht auf eine Gnadengabe im Jenseits angewiesen zu sein. Auch in der isländischen Gisli saga wird die Notwendigkeit des Anlegens der Totenschuhe für die Reise nach Walhall erwähnt, wenn auch ohne konkrete Benennung der Gründe dafür.

Die Totenschuhe – wie die Grabbeigaben insgesamt – dürften aber noch einen weiteren Aspekt besessen haben. Natürlich basiert die Beigabensitte auch auf Liebe und Hochachtung dem Verstorbenen gegenüber, wobei man zu allen Zeiten und in allen Kulturen gleichzeitig stolz demonstrieren wollte, welchen Aufwand sich eine Familie bei einem Begräbnis leisten konnte. Ein weiteres Element aber dürfte in der Furcht vor dem Toten gelegen haben, der in alter Zeit ja auch nach seinem Ableben noch den Status einer juristischen Person besaß: Wurden Verstorbene auf irgendeine Weise in ihren Rechten beschnitten, konnten sie allgemeinem Glauben nach nämlich als Wiedergänger oder auf andere Weise fürchterliche Rache nehmen. Deshalb war es von größter Bedeutung, alle mit dem Totenbrauchtum verbundenen Riten peinlich genau einzuhalten. In dem Zusammenhang ist die Sitte belegt, die Totenschuhe miteinander zu verschnüren, um die Wiederkehr des Toten zu verhindern.5 Dass damit auch der eigentliche Zweck verhindert wurde, nämlich die Reise ins Jenseits, sollte dabei kein Kopfzerbrechen bereiten, denn in dieser Grauzone zwischen Religion und Aberglauben sind die Gesetze der Logik nicht immer anwendbar.

Auch wenn bereits in frühester Zeit seit dem Neolithikum der Gedanke vorherrschend scheint, dass es dem Toten im Jenseits an nichts fehlen sollte, scheint später wohl auch an eine symbolische Abfindung des Toten, der ja ein Erbe hinterließ, gedacht worden zu sein. Dem entspricht auch die in manchen europäischen Gebieten zählebige Sitte, jungen Menschen, die vor der Ehe sterben, symbolisch Bräutigam oder Braut anzutrauen, um die Ansprüche eines unvollendeten Lebens zu erfüllen. In den mittelalterlichen skandinavischen Gesetzen ist der Anspruch des Toten auf einen Teil seiner Habe schriftlich festgelegt. Frau und Kinder erhielten jeweils ein Drittel, das letzte Drittel aber stand dem Verstorbenen zu, was früher als Grabbeigaben, in christlicher Zeit als Zuwendung an die Kirche für Seelenmessen oder als Spende an die Armen verwendet wurde.

All das bietet aber noch keine Erklärung für die zu Beginn dieses Artikels erwähnten Schuhopfer in Mooren, denn dabei handelt es sich ja um isolierte Funde und nicht um Teile einer Bestattung. Auch die mit Schuhen verbundenen magischen Praktiken bieten keine letztliche Erklärung: Das Werfen von Schuhen ist in manchen Gegenden Teil von Bestattungs- und Hochzeitsbräuchen, und auf Island warf man außer Münzen und Steinen auch Schuhe oder Schuhflicken auf die Steinhaufen, die über den Gräbern von Erschlagenen und Verunglückten entlang der Reisewege errichtet waren.

Zwei weitere Erklärungsmöglichkeiten wären denkbar: Wenn man den Göttern Speise und Trank, Waffen und Schmuck opferte, dann möglicherweise auch Kleidung und eben Schuhwerk, was sich auf Grund ihrer materiellen Vergänglichkeit aber eben nur ausnahmsweise erhalten haben mag. In der Edda ist die Rede davon, dass zwei „Holzmännern“ Kleidung übergezogen wird, damit sie sich nicht mehr nackt fühlen.6 Häny versteht den Begriff – wohl fälschlich – als Vogelscheuchen. Die anderen Übersetzer scheinen eher von hölzernen Götterbildern auszugehen, die auch angemessen gekleidet werden müssen, zumal auch die Sagas Hinweise darauf bieten, dass Götterstatuen mit tatsächlicher Kleidung und wertvollem Schmuck angetan waren. Grimm weist auf den bei Burchart von Worms erwähnten Brauch hin, den Haus- und Hofgeistern auch Schuhe zu opfern.7 Aber auch den Ahnen wurden Schuhe geopfert,8 und somit könnte die zweite – und vielleicht plausiblere – Möglichkeit für das Schuhopfer im Moor die sein, dass man hier Familienmitgliedern, die fern von Heimat und Sippe in der Fremde den Tod gefunden hatten, die als notwendig erachteten Hel-Schuhe auf diese Weise nachsandte, zumal auch aus späterer Zeit Belege dafür vorzuliegen scheinen, dass man Toten nur einen Schuh mitgab.9

Kehren wir nun noch einmal zu der bemerkenswerten Jenseitsreise des Gottschalk zurück, der nach Überwindung der Dornenheide auf seinem weiteren Weg an ein nächstes Hindernis gerät, das jeden mit der Edda Vertrauten sofort aufhorchen lässt:

„Als wir dann in der beschriebenen Ordnung weitergingen, kamen wir an einen Fluß, dessen Wesensart und Beschaffenheit den Unglücklichen einen schrecklichen Anblick bot. Auf seiner Oberfläche trug er nämlich eine Art Verbund von messerscharfen Klingen aus verschiedenen Waffen, die so dicht ineinander verschränkt waren, daß niemand hätte hinüber können, ohne sich daran zu schneiden. Der Fluß gewann auch an Breite bis zur Reichweite eines Trompetenstoßes. Im gleichen Fluß aber schwammen Holzbretter, die die Unschuldigen […] hinübertrugen, und zwar in der Art, daß auf einem Brett je nach seiner Länge jeweils drei oder vier hinüberfuhren. Auch ich setzte mit zwei anderen auf einem dieser Bretter über. Wenn sich jedoch einige von denen, die bis jetzt noch in eigene Schuld verstrickt waren, zur Überfahrt auf diese Bretter schwingen wollten, dann entzogen sich diese ihnen sogleich, als wollten sie vor ihnen fliehen, und nahmen keinen von ihnen, sondern nur die Guten auf. Die Anderen aber wurden beim Hindurchwaten von zahlreichen, immer neuen Schnitten so zerfetzt, dass sie am Ende dünn wie ein Haar wirkten […]. Als alle hinüber waren, wurden sie wieder in den früheren Zustand der Unversehrtheit zurückversetzt.“10

Wer denkt bei dieser Beschreibung nicht sofort an den Fluss Slíðr, der in der Edda folgendermaßen beschrieben wird:

„Ein Fluß strömt von Osten durch Gifttäler,
mit Messern und Schwertern, Slíðr nennt er sich […]
Dort sah ich waten durch reißende Ströme
meineidige Männer und Verbrecher.“11

Haben wir hier etwa den Hinweis auf eine typisch germanische Qualhölle, in der es kein Feuer gibt, wohl aber starrende Ströme voll Sumpf und Schlamm, welche Schwerter wälzen und die Meuchelmörder und Meineidige durchwaten müssen? In Grímnismál 27 scheint ebenfalls auf diesen Fluss Bezug genommen zu werden, wenn er Geirvimul (d.h. der von Speeren Wimmelnde) genannt wird. Diese germanische „Wasserhölle“ unterscheidet sich von der christlichen so scharf, dass auf den ersten Blick niemand an eine Entlehnung aus dem Christentum denken kann. Eher möchte man da eine Urverwandtschaft mit den Strafleiden der griechischen Mythologie annehmen, die auch von „Höllenflüssen“ durchzogen wird und wo Tantalos bis zum Kinn im Strome steht und ewigen Durst leidet, weil sich die Wasseroberfläche immer in genau dem Maße senkt, in dem er seinen Kopf zum Trinken nieder beugt.

Zu Recht ist aber oft angemerkt worden, dass auf Grund eines fehlenden Begriffs von „Sünde“ die germanische Hel kein Ort der Strafe sei, sondern lediglich ein allgemeiner Begriff für den Aufenthalt im Jenseits. Andererseits sollte man die Vorstellung nicht voreilig ablehnen, dass im Angesicht germanischer Konzepte ehrenhaften und unehrenhaften Handelns das nachtodliche Schicksal davon völlig unbeeinflusst gewesen sein sollte. Gerade isländische Quellen bringen nämlich z.B. Wiedergängertum eindeutig mit asozialem Verhalten im irdischen Leben in Verbindung. Und für den Volksglauben, der in dieser Frage eine ganz entscheidende Rolle spielt und der nur wenige Berührungspunkte mit der skaldischen Poetik und Mythologie hatte, dürfte stets zu vermuten sein, dass das menschliche Verhalten im Diesseits nicht ohne Resultat im Jenseits gewesen sein kann. Das scheint auch durch weitere Edda-Stellen unterstrichen zu werden, z.B. durch den Fluss Waðgelmir (d.h. Furt-Schreier) – auch der offensichtlich ein Bestrafungsort im Jenseits:

„Harte Strafe wird Menschensöhnen,
die in Wadgelmir waten:
Wer mit Unwahrheit den anderen verlügt,
überlang schmerzen die Strafen.“12

Und noch an einer weiteren Stelle wird in der Edda darauf hingewiesen, dass man „der Schuld ledig leben müsse, damit man es im Tode nicht entgelte.“13 Natürlich kann man derart „missliebige“ Stellen immer leicht als christliche Einflüsse abtun. Und so sind auch weitgehend alle Fachgelehrten der Meinung, diese Flüsse mit bestrafendem Charakter seien nicht ursprünglich heidnisch, sondern hier seien christliche Vorstellungen eingedrungen. Und dafür spricht tatsächlich einiges, denn die christliche Visionsliteratur des frühen Mittelalters wimmelt geradezu von solchen Jenseitsbeschreibungen. Hier ist vor allem die aus dem 4. Jahrhundert stammende so genannte Paulinische Apokalypse zu nennen, die seit dem 9. Jahrhundert vielfach übersetzt und bearbeitet wurde. Darin erschaut Paulus den finsteren Ort der Verdammten mit dem „bestrafenden“ Strom, in dem die Ehebrecher waten, und einen feurigen Strom, in dem die Diebe und Mörder gepeinigt werden. Auch in der Vision Karls III. um 900 stehen die Räuber und Schläger in einem metallenen, also wirklich „schweren“ Strom.

Da derartige Beschreibungen aber weder der Bibel noch den Schriften der Kirchenväter entstammen, steht nach wie vor die Frage ihrer Herkunft im Raum. Dass sie erstmals innerhalb früher christlicher Quellen überliefert sind, steht außer Frage, dennoch ist der genaue Ursprung dieser und zahlreicher weiterer Elemente unmöglich mit letzter Sicherheit zu bestimmen. Das aber ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die Frage an sich – heidnisch oder christlich – völlig falsch gestellt ist. Seit nunmehr fast 200 Jahren versucht die Forschung in den altnordischen Quellen christliche Einschübe zu erkennen und so rein Heidnisches zu trennen und herauszuschälen, und auch zahlreiche heutige Heiden zeigen sich stets um christliche Einflüsse in den Quellen besorgt. Dabei scheint man oft wie selbstverständlich von zwei Grundannahmen auszugehen, die sich bei näherer Betrachtung aber beide als ideologische Schimären entpuppen.

Die erste Annahme ist die, dass es so etwas wie eine „reine und unverfälschte“ Religion der Germanen überhaupt jemals gegeben hätte. Als Produkt einer Kultur entwickelt sich Religion in genau dem Maße wie die Kultur selbst. Von „einer“ germanischen Religion kann man sowieso nicht reden, sondern bestenfalls von „den Religionen und Kulten der germanischen Völker“. Bereits in vorgeschichtlicher Zeit muss sich Religion konstant verändert haben, wie schon der Wechsel von der Körper- zur Brandbestattung und viele andere Details beweisen, ohne dass wir die genauen Gründe dafür kennen würden. Aber auch damals werden oft genug Kulturkontakte und entsprechende Einflüsse der Grund dafür gewesen sein. Ganz stark ist das verständlicherweise im römisch-keltisch-germanischen Mischgebiet zu beobachten, z.B. am Matronenkult, dem wohl alle drei Völker anhingen und dessen ursprünglich germanische Provenienz zunehmend diffuser wurde. Die zahlreichen Germanen in römischen Diensten dürften auch dort mit neuen religiösen Elementen konfrontiert worden sein, die sie aufnahmen und in entsprechender Form zurück in ihre Heimat trugen. Die zahlreichen Beispiele, die wir dafür kennen (wie z.B. die erstaunlich frühe germanische Übernahme des römischen Systems der nach Gottheiten benannten Wochentagsnamen), sind aufschlußreich genug, um hier noch viel mehr annehmen zu können. Natürlich waren dabei alle beteiligten Religionen sowohl Gebende wie Nehmende. Und solch konstante Änderungen und Fortentwicklungen sind für die gesamte germanische Welt in vorchristlicher Zeit belegbar.

Zu lange wurden die heidnischen Religionen Nordeuropas als in sich weitgehend abgeschlossene und unveränderliche regionale Einheiten betrachtet, während inzwischen klar ist, dass sie quasi als variable Größen betrachtet werden müssen, die stets zeitbedingten Anpassungs- und Veränderungsprozessen unterworfen waren und teils auf kulturelle Erfordernisse, teils auf Ansprüche reagierten, die aus der Konkurrenz, Kooperation oder auch Koexistenz mit anderen Religionen erwuchsen. So wird auch die Fragestellung nach einer möglichen „christlichen Beeinflussung der Edda“ von Laien oft dahingehend missverstanden, als wenn es dabei um einzelne und isoliert stehende Verse ginge, die irgendein christlicher Schreiber dort listig eingeschmuggelt hätte, was eine den damaligen Realitäten der Literaturproduktion in keiner Weise entsprechende Vorstellung wäre. Das Problem stellt sich vielmehr auf viel breiterer Basis: Die Skandinavier hatten jahrhundertelang engsten wirtschaftlichen und kulturellen Kontakt mit dem christlichen Europa. Man besaß das Monopol auf den für Christen verbotenen Sklavenhandel, handelte auch mit allem anderen quer durch Europa und die Mittelmeerwelt, lebte dort, kehrte aber auch immer wieder zurück nach Skandinavien. Die Besiedlung Islands ging zu einem erheblichen Teil von Norwegern aus, die zuvor schon lange in Irland gelebt hatten, und die ihr durchweg irisches und christliches Hofpersonal mitbrachten. Íslendingabók vermerkt, dass sich bereits unter den ersten Siedlern zahlreiche Christen befanden. Angesichts der undogmatischen Pragmatik des Heidentums und dem Fehlen jeglicher Autorität, die über eine „Reinheit der Lehre“ hätte wachen können, ist es eine geradezu zwangsläufige Annahme, dass hier über die Jahrhunderte (!) bis zur Niederschrift der altnordischen Quellen so manche Denkmuster und Inhalte aus dem übrigen Europa übernommen wurden.

Letztendlich ist hier aber weder das eine noch das andere schlüssig beweisbar, da wir gerade über die tatsächlichen Jenseitsvorstellungen altnordischer Zeit abgesehen von ein paar farbenprächtigen Bildern der Skaldik so gut wie nichts wissen. Angesichts unzähliger kulturgeschichtlicher Belege für die soziologische Unausweichlichkeit solch wechselseitiger Übernahmeprozesse läge die Beweispflicht dafür, dass (und vor allem warum!) das in diesem Fall ausnahmsweise nicht so gewesen sein sollte, allerdings bei den Gegnern dieser Annahme. Umgekehrt muss aber eingeräumt werden, dass die Vorstellung guter und schlechter Jenseitsbereiche allein noch kein Beleg für eine zwangsläufig christliche Beeinflussung sein muss, denn dergleichen gibt es nicht ausschließlich in der christlichen Lehre.

Die zweite Annahme ist die, dass Christliches und Heidnisches bis hin zu den Details immer von unvereinbarer Gegensätzlichkeit sei und sich gegenseitig ausschließen müsse. Diese oftmals rein ideologisch motivierte Haltung ist eine moderne Konstruktion, die in hohem Maße die Realitäten verkennt. Es gilt hier, drei unterschiedliche Phasen der Christianisierung zu unterscheiden: Die erste war die Arianisierung der Germanen: Fast alle in der Völkerwanderung beschriebenen germanischen Völker traten bereits als arianische Christen in das Licht der Geschichte, deren Bekenntnis damit in schroffem Gegensatz zu der durch den fanatischen Athanasius von Alexandria definierten „katholischen“ Lehre stand, da der kleinasiatische Bischof Arius in Jesus lediglich einen Menschen sah – einen sehr göttlich inspirierten zwar, aber nicht als wesensgleich mit Gott selbst. Wie es zu diesem rein innergermanischen, durchgreifenden und wohl sehr friedlichen Prozess der christlichen Arianisierung kam, entzieht sich mangels Schriftquellen gänzlich unserer Kenntnis. Jedenfalls hatte jeder germanische Stamm seinen eigenen Bischof, über den hinaus es keine kirchliche Hierarchie und erst recht keine Verbindung zu Rom gab, und die Gottesdienste wurden in germanischer Sprache abgehalten. Obwohl der Arianismus bereits im Jahr 325 auf dem Konzil von Nicaea zur Ketzerei erklärt worden war, war es aber dieses Bekenntnis, zu dem sich alle christianisierten germanischen Stämme der Völkerwanderungszeit bekannten, und Langobarden und Westgoten hingen ihm noch bis in das 7. Jahrhundert hinein an.

Die zweite Phase erfolgte in merowingischer Zeit im 6. Jahrhundert im heutigen Süddeutschland, die ebenfalls weit friedlicher ablief, als zahlreiche heutige Heiden das gerne wahrhaben möchten. Das lag daran, dass es dort damals überhaupt keine Macht gab, die in dieser Sache hätte Gewalt ausüben können. Die Obrigkeit war selbst noch stockheidnisch, eine kirchliche Autorität vor Ort sollte es noch lange nicht geben, Rom war weit entfernt und gerade die Päpste hatten damals ganz andere Probleme, sodass die Kirche insgesamt sich nicht im Geringsten für eine Bekehrung der Germanen interessierte, was sich erst kurz darauf unter Papst Gregor I. (dem Großen) änderte. Das ist auch der Grund, warum diese Mission aus einer geographisch ganz anderen Richtung erfolgte, nämlich von den Britischen Inseln aus, deren seltsames Christentum – vor allem das irische – damals wenig mit Rom zu tun hatte und dort zunehmend als reine Ketzerei betrachtet wurde. Und es waren gerade irische Wandermönche, die hier wirkten. Die waren „autonome“ Asketen, die keine Handlanger irgendeiner kirchlichen Hierarchie oder gar päpstlicher Autorität waren, und bei ihnen gab es keinen Widerspruch zwischen ihren Predigten und ihrem Handeln. Die ansonsten beliebte Methode, zuerst die Fürsten zu bekehren (und damit über den Weg der Gefolgschaftstreue auch deren Vasallen und Untertanen), wandten sie überhaupt nicht an, sondern ganz im Gegenteil mieden sie alle größeren Siedlungen und Fürstensitze und verschwanden sofort in den wildesten Wald- und Gebirgsgebieten. Denn das Ideal dieser keltischen Mönche war die Wüste. Da die in ihrer eigentlichen Form in Nordeuropa aber nicht existiert, bevorzugten sie tiefe, entlegene Wälder und am liebsten unbewohnte und unzugängliche Inseln. Dabei mussten sie notwendigerweise härteste Bauernarbeit verrichten, die Wälder roden und den Boden pflügen. In den Lebensbeschreibungen dieser Männer aus der Merowingerzeit ist noch die Achtung davor spürbar, dass sie die alten germanischen Siedlungsgebiete, die seit der Völkerwanderungszeit verödet waren, wieder urbar machten. Diese Männer waren für die Bekehrung Süddeutschlands verantwortlich. Und es ist verständlich, welche Überzeugungskraft diese Bewegung auf das Landvolk ausgeübt haben muss. Diese irischen Mönche waren selbst einfache Landleute mit einem tiefen Gefühl für die Natur und ihre Wildheit. Sie standen der bäuerlichen Gesinnung der Germanen nahe genug, um jeden religiösen Dünkel von oben herab zu vermeiden (auch wenn gerade der zur Tobsucht neigende Columban hier eine unrühmliche Ausnahme gewesen zu sein scheint). Es wurden auch keine Heiligtümer zerstört, sondern die den Göttern gezollte Verehrung wurde behutsam auf die Heiligen übertragen. Die heiligen Quellen, Bäume und Steine, die den irischen Bekehrern aus ihrer Heimat so vertraut waren, wurden der Verehrung des Volkes erhalten, aber sie wurden neuen Mächten geweiht und mit neuen Gedankengängen verknüpft. Dass es unter solchen Umständen zu einer gerade im Volksglauben munteren Verquickung heidnischer und christlicher Vorstellungen kommen musste, liegt auf der Hand.

Die dritte Phase der Christianisierung erfolgte bekanntlich in karolingischer Zeit und war auf die nördlicheren Gebiete Deutschlands gerichtet (Sachsen, Friesen, Hessen usw.), und die lief in der Tat sehr viel brutaler ab. Als zu dieser Zeit aber auch die süddeutschen Gebiete unter fränkischen Einfluss und damit unter den einer zumindest ansatzweise besser organisierten katholischen Kirche gerieten, stellte man entsetzt fest, dass diese süddeutschen „Christen“ noch recht heidnisch waren und gewaltige „Nacharbeit“ vonnöten war. Da aber war es bereits geschehen, dass die Heiden zwar nominell zu Christen geworden waren, das Christentum dabei aber wiederum so viel Heidnisches und „irische Ketzerei“ in sich aufgenommen hatte, dass gerade der ländliche Katholizismus im Süden Deutschlands einen bis in die Neuzeit wuchernden heidnisch-christlichen Synkretismus irischen Ursprungs darstellt. Wenn ein solch zwangsläufiger Prozess sogar direkt unter den Nasen eifrig missionierender Mönche unvermeidlich war, stellt sich umso mehr die Frage, wieso umgekehrt ähnliche Synkretismen gerade im skandinavischen Heidentum aus gegensätzlicher Blickrichtung unmöglich gewesen sein sollten.

Im Licht dieser historischen Tatsachen stellt es also keinen zwangsläufigen Widerspruch dar, dass mythologische Details nicht nur in Einzelfällen sowohl heidnisch wie auch zugleich christlich sein können – auch wenn wir sie nur aus vordergründig christlich erscheinenden Texten kennen – und sie bereits von damaligen Zeitgenossen nicht mehr eindeutig der einen oder anderen Sphäre zuzuordnen waren. Und dieser Aspekt dürfte sich in Einzelheiten der Visionsliteratur ganz besonders heftig niedergeschlagen haben, da ihre Bilder nämlich oft einem kollektiven Unbewussten entspringen, sodass selbst Parallelen aus unterschiedlichen christlichen Texten heidnische Ursprünge entsprechender Motive – in unserem Fall „Dornenheide“ und „Waffenfluss“ – zumindest in keiner Weise ausschließen. Und wer auch nur ansatzweise mit der religiösen Geistesgeschichte der Spätantike und der Verquickung von Christentum, Neuplatonismus und den orientalischen Mysterienkulten von Kybele, Mithras und Isis vertraut ist, dürfte bei dieser Thematik und ihren allgegenwärtigen Synkretismen sowieso äußerst zurückhaltend mit Aussagen über jegliche „Unverfälschtheit“ religiöser Inhalte und Belange sein.

Es gilt bei diesem Thema vor allem auch eine Tatsache verinnerlichen, die allzu oft verkannt oder nicht einmal ansatzweise erkannt wird (und die schwerlich auf unsere Zeit zu beschränken ist):

„Strenggenommen haben die meisten Menschen während ihrer gesamten Lebenszeit auch nicht eine feste, sich gleichbleibende religiöse Anschauung. Denn der Mensch betätigt nur in bestimmten Momenten und Phasen seines Lebens eine bestimmte Glaubenshaltung; während des größten Teils seines Lebens ist sein Denken entweder überhaupt nicht mit bestimmten metaphysischen Gedanken beschäftigt oder wird von ganz anders gearteten Überzeugungen beherrscht. Auch der religiöse Mensch, der in den Stunden der Andacht oder in der Kirche, bei Vorträgen, bei literarischen Arbeiten bestimmte metaphysische Anschauungen teilt oder verkündet, steht im täglichen Leben auf einem ganz anderen geistigen Boden. Im Beruf, in der Forschung, im Kriege ist er Materialist oder Skeptiker; wenn er zum Astrologen oder zur Kartenlegerin geht, huldigt er einem unchristlichen Schicksalsglauben, bedient er sich eines Amuletts oder Talismans, so werden primitive Vorstellungen in ihm lebendig. Wenn man also nicht die formelle Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bekenntnis, sondern allein die geistige Haltung als das ausschlaggebende betrachtet, dann hat kaum eine Persönlichkeit eine einzige Glaubensüberzeugung, sondern deren viele. Diese Tatsache wird zumeist übersehen, weil nur das Denken und Handeln in gewissen Feiertagsstimmungen in den Kreis der Betrachtung gerückt wird und die theologischen Vorstellungen vom Glauben nur diese Momente berücksichtigen.“14

Und diese religiös allgemein diffuse und widersprüchliche Haltung dürfte gerade angesichts des dunklen Tores, das jeder Mensch irgendwann durchschreiten muss, nirgendwo und zu keiner Zeit wesentlich anders gewesen sein. Bei all dem darf man nicht vergessen, dass das uns durch das Christentum heute so selbstverständlich vermittelte Konzept einer Trennung von Körper und Seele in den ursprünglichen indoeuropäischen und auch noch germanischen Anschauungen keine Entsprechung hat. Auch unter den in der altnordischen Literatur überlieferten Bestandteilen der komplex wirkenden Persönlichkeitszusammensetzung (hugr, hamr, önd usw.) findet sich keines, das dem Konzept einer „Seele“ und ihrer parallelen Existenz zum Körper vergleichbar wäre. Die nachtodliche Existenz betraf den Menschen in seiner Gesamtheit, nicht nur dessen „Seele“. Nur so erklärt sich auch die Vorstellung des Wiedergängers und das als sehr real und körperlich gedachte Weiterleben der Toten im Grabhügel in Form der Alben oder bei Hel, was ja auch in den nordischen Quellen von Baldurs Willkommensfest bei Hel15 bis hin zu Gottschalks Vision deutlich wird, die alle noch recht körperlicher Natur zu sein scheinen. Nur im Gefolge solcher Vorstellungen lässt sich überhaupt auch die Sitte aufwändiger Grabbeigaben verstehen. Auch all die mittelalterlichen Vorstellungen entstammenden „Höllenqualen“ sind so körperlicher Art, dass sie einer „Seele“ eigentlich gar nichts anhaben könnten.

Als provokantes Fazit ließe sich somit formulieren, dass die eigentliche „Seelenlehre“ den Norden und andere Teile der indoeuropäischen Welt bis heute nicht wirklich erreicht hat. Denn dieser Dualismus von Materie und Geist ist in Europa erstmals bei den griechischen Orphikern im 6. Jahrhundert v.d.Z. fassbar. Plötzlich galt die Seele als im Körper wie in einem Gefängnis eingeschlossen,16 die für eine alte Schuld Buße ableisten musste17 und die eben deshalb nun der Reinigung und Läuterung bedurfte. Aus der daraus abgeleiteten Unsterblichkeit dieser neu erfundenen „Seele“ entstand somit zwangsläufig auch die Frage nach deren Aufenthaltsort vor und nach dem Tode, und deshalb ist uns aus dieser Zeit auch erstmals der Gedanke an eine Seelenwanderung als Antwort auf diese Problemstellung belegt. Herodot sagt uns, all diese fremdartigen Gedanken seien aus Ägypten übernommen worden, aber vermutlich dürfte Pythagoras an deren Vermittlung und griechischer Ausformung wesentlich beteiligt gewesen sein, der ja angeblich in Babylonien und Ägypten studiert hatte.18 Seine enge Verbindung zu den Orphikern ist belegt, und auch er vertrat die Lehre von der Seele als einer unsterblichen und im Körper gefangenen spirituellen Einheit.

Sowohl diese „Erbsünde“ wie auch die Trennung von Körper und Seele waren den Griechen und anderen indoeuropäischen Völkern zuvor aber gänzlich fremd gewesen. Erst durch Platos Aufnahme dieser Vorstellung und der Ausformulierung seiner Seelenlehre wurde sie zu einem äußerst einflußreichen Konstrukt der griechischen Philosophie, trug zu einer grundsätzlichen Umbewertung nachtodlicher Vorstellungen bei und gelangte später eben von dort in sehr vereinfachter Form auch ins Christentum. Das wird bei einer Betrachtung der psyché bei Homer deutlich, die im Hades lediglich den Rang einer Schattenexistenz einnahm, nach dem Tode des Menschen an die Stelle des Körpers trat und dort ohne jede Erinnerung an das Vergangene und ohne Bewusstsein des Gegenwärtigen existierte. Die sich später durchsetzende Lehre einer adäquaten Vergeltung des menschlichen Tuns im Jenseits hätte angesichts des noch bei Homer zu findenden alt-indoeuropäischen Konzepts somit gar nicht greifen können. Die Formlosigkeit und das Fehlen von thymós und phrénes (beides schwer übersetzbare Bezeichnungen aus homerischer Zeit für „Bewusstsein“, deren Sitz im Herz bzw. der Bauchdecke des Menschen angenommen wurde) innerhalb der psyché wird z.B. dem darüber entsetzten Achilles klar, als ihm sein getöter Liebhaber Patroklos im Traum erscheint.19

Bei Plato aber finden wir unter eben dem Begriff psyché plötzlich ein gänzlich verändertes Begriffsverständnis, da der „Seele“ nun plötzlich nicht nur die Teilhabe an der Welt des Göttlichen – an den „Ideen“ – zugesprochen wird, sondern sie wird plötzlich auch als der eigentliche und unveränderliche Wesenskern des Menschen interpretiert. Geradezu zwangsläufig verbindet sich mit dieser Aufwertung der psyché eine Abwertung des Körperlichen. Aber bereits bei Plato war die Sicht der Dinge nicht so simpel gewesen wie bei dem heutigen esoterischen Begriff der „Seele“. Er hatte die Seele in drei Aspekte unterteilt (Vernunftseele, Affektseele und Triebseele), wobei er nur der Vernunftseele ein Weiterleben zubilligte. Zudem stellt er seine Vorstellungen davon in den einzelnen Texten in mythisch sehr voneinander abweichenden Variationen dar,20 ihnen allen aber ist gemeinsam, dass das Schicksal einer Wiedergeburt eher als Strafe aufgefasst wird und nur den moralisch Verwerflichen zugedacht ist, wohingegen sich die Guten auf den Aufenthalt in einer jenseitigen Welt z.B. nach dem Modell der „Insel der Seligen“ freuen dürfen.

Auch hier haben wir also eine weitere Quelle für spätere christliche Denkmodelle, wie überhaupt der Hellenismus und erst recht der spätere Neuplatonismus dem Christentum in wesentlichen Aspekten den Boden bereitet hat. Platos Reinkarnationsverständnis ist somit – ebenso wie im Hinduismus – keinesfalls als geistliches Tröstungs- und Hoffnungsbild zu verstehen, sondern es erscheint gerade „in dieser Perspektive weniger eine Frage der Religion als vielmehr eine Forderung der Staatsraison.“21

Dennoch ist Platos Ausformung dieser Vorstellung die Grundlage aller noch heute gültigen Populär-Konzepte der Seele als der eines unsterblichen Lebensprinzips des von ihr lediglich „bewohnten“ sterblichen Körpers und dem esoterisch-christlichen Denkansatz, der Leib sei auschließlich ein „Kerker“ der Seele. Hätte er damals ahnen können, was er damit bis in heutige Zeit hinein anrichten sollte, wäre Plato in seinen Formulierungen möglicherweise etwas vorsichtiger geblieben:

„Die Abwertung des Materiellen, Leiblichen bei Plato und seinem Kreis war gewissermaßen noch eine akademische Spielerei aristokratischer Müßiggänger, die es sich leisten konnten, das Materielle gering zu schätzen, weil sie sich um materielle Dinge nicht zu kümmern brauchten – das besorgten ihre Haussklaven. Der Leib war zwar ein Gefängnis der Seele, aber – unter diesen Umständen – ein relativ komfortables; und die ganze materielle Welt war immerhin die bestmögliche, weil stoffliche Verwirklichung ewiger Ideen durch den Schöpfer. Die gnostische Abwertung von Materie und Leib war viel radikaler, wie denn jede Bewegung, die ‚von unten‘ kommt, ‚radikal‘ ist. Sie entsprang einem hautnahen Erleiden der materiellen und leiblichen condition humaine ihrer Zeit. Nach dem Zerfall des Alexanderreiches veränderte sich die materielle und geistige Situation der antiken Welt grundlegend. Das Griechentum hatte zwar (durch Alexander) eine universale Ausweitung erfahren: der griechisch sprechende Mensch war Weltbürger geworden. Aber er war (durch seine Verpflanzung in fremde Kulturbereiche) im selben Maße auch heimatlos geworden. Die griechische Polis als Kleinstadtstaat und religiöse, politische und wirtschaftliche Einheit war im Zerfall: Der Kleinstädter wurde zum unbehausten Großstadtmenschen. Die ständigen Kriege der Diadochen Alexanders – der Seleukiden, Antigoniden, Ptolomäer – führten zu einer zunehmenden Unsicherheit des Lebens […] Eine zunehmende pessimistische Weltschau und eine zunehmende Erlösungsbedürftigkeit reflektieren den Wandel der Verhältnisse, der die Angehörigen anderer Kulturen der alten Welt natürlich ebenso betraf wie die Griechen (wenn wir ihn auch an dieser Stelle gewissermaßen aus griechischer Sicht beschrieben haben). Die religiöse Bewegung der Gnosis als radikalster Ausdruck der veränderten Gesamtsituation ist deshalb auch […] kein spezifisch ‚griechisches Phänomen‘, sondern ein Gesamtphänomen der antiken Oikumene.“22

Der große Unterschied zwischen „athanasischen“ (den späteren katholischen) Christen und Gnostikern bei der Seelenvorstellung lag darin, dass Erstere die Seele als reine Schöpfung Gottes, die Gnostiker sie aber als einen Funken von Göttlichkeit selbst – also als Teil Gottes – in jedem Menschen sahen.

Jetzt aber sind wir der Entwicklung dieser Vorstellungen weit vorausgeeilt, deshalb zurück zu Plato und seinem Kreis. Bereits sein Schüler Aristoteles widersprach dessen Vorstellungen. Seiner Überzeugung gemäß, dass Form und Stoff bei „endlichen Wesen“ immer als Einheit existieren, ist für ihn auch die „Seele“ vergänglich. Erst recht Epikur wendet sich in einer recht modern anmutenden Argumentation gegen die pythagoräische Esoterik, indem er die „Seele“ lediglich als „Beistreuung“ der menschlichen Gesamtzusammensetzung betrachtet, die sich mit der Auflösung des Menschen im Tode ebenfalls wieder in ihre Komponenten zersteut, da sie nach Vergehen des Körpers nicht mehr über ihre vorherigen Fähigkeiten und somit auch über kein ausschließlich an die körperlichen Funktionen gebundenes Wahrnehmungsvermögen mehr verfügen kann.

Auch im Judentum hatte es seit alters her keine ausgeprägten Jenseitsvorstellungen gegeben, sondern lediglich die Annahme eines Scheol genannten Schattenreiches, das dem griechischen Hades aus homerischer Zeit und auch den anderen altorientalischen Vorstellungen sehr ähnlich war. Der Schwerpunkt jüdischen Glaubens lag – wie auch bei den Indoeuropäern – klar auf einer rein diesseitigen Gerechtigkeits- und Heilsgarantie. Einer fehlenden Bestrafungsmöglichkeit im Jenseits wegen rächten sich alle Verfehlungen deshalb ebenfalls ausschließlich im Diesseits (vgl. hierzu beispielhaft die Vorstellungen im alttestamentarischen Buch Hiob), in Härtefällen und als Abschreckungsmuster sogar bis „in die siebente Generation“ innerhalb der eigenen Familie hinein.

Aber seit hellenistischer Zeit findet sich auch im Judentum plötzlich ein ganz anderer Glaube. Die spätestens durch das babylonische Exil zunichte gemachten Träume eines starken und geeinten israelitisch-judäischen Reiches und das damit verbundene Scheitern aller bisherigen theologischen Entwürfe eines innerweltlichen Heils ließen nun die Hoffung auf ein rein jenseitiges Heil entstehen. Das aber musste zwangsläufig mit apokalyptischen Vorstellungen von einem bald bevorstehenden Ende der Welt einhergehen, denn nur ein solches konnte Vorraussetzung für einen nun plötzlich als jenseitigen und perfekt erhofften Gerechtigkeitsausgleich für das in der Welt erlittene Unrecht sein. Dieser wiederum konnte sich aber als Vorbedingung dazu nur auf „Rechtgläubigkeit“ innerhalb der Gemeinde gründen, wodurch es innerhalb des Judentums nicht nur zu einem radikalen Paradigmenwechsel vom Kult zur Schriftgläubigkeit kam, sondern auch zu dem Entwurf einer endgültig und linear endenden Weltgeschichte, die ihre Fortsetzung in einer vermeintlich transformierten und unbegrenzten andersweltlichen Existenz des Individuums zu finden hoffte.

Wenn man aber annimmt, es handele sich dabei lediglich um die Vermischung einer neuen griechischen Unsterblichkeitsidee mit einer rein innerjüdischen Endzeitvision, ist das religionsgeschichtlich mit Sicherheit zu kurz gegriffen. Zwar mag hier durchaus die neue griechische Betonung der „Seele“ als dem eigentlichen und beständigen menschlichen Wesenskern bei gleichzeitiger Abwertung der Körperlichkeit eine Rolle gespielt haben, Tatsache dürfte aber auch sein, dass sich durch die damals sehr tolerante iranische Herrschaft über den Vorderen Orient (der die Juden ihre Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft ja überhaupt verdankten) zahlreiche iranische religiöse Vorstellungen des Avesta im vorderen Orient ausgebreitet hatten, die ihren Eingang auch in das bis in vorexilische Zeit noch gänzlich polytheistische Judentum fanden (gegen das die selbstgerechten Bücher der Propheten ja unermüdlich ätzen). So ist die drastische alttestamentarische Vision Ezechiels (37, 1-14) einer göttlichen Wiederbelebung menschlicher Gebeine eindeutig von iranischem Denken geprägt, das der Verfasser in Babylon gründlich kennengelernt haben dürfte.

„Wenn jetzt in der nachexilischen Zeit unvermittelt der Gedanke auftritt, daß vor dem bevorstehenden Weltende die Toten wieder lebendig werden, und diese Vorstellung sich bald mit dem eines allgemeinen Gerichts verbindet, dann liegt die Annahme nicht fern, daß auch hier persischer Einfluß sich auswirkt. Denn nach der Lehre der Zarathustrier jener Zeit wird am Schluß des großen Weltdramas der Heiland Saoshyant die Toten auferwecken und die Guten von den Bösen scheiden. Die iranische Lehre, daß die Erde die Gebeine, das Wasser das Blut, die Pflanzen die Haare, das Feuer die Lebenskraft denen zurückgeben werden, von denen sie sie bei ihrem Hinscheiden genommen haben, scheint in die Zeit zurückzugehen, in welcher noch die Vorfahren der späteren Iranier und der arischen Inder ein Volk bildeten; schon im Rigveda finden wir den Glauben, daß die einzelnen Bestandteile der Toten in die Gottheiten der Erde, des Feuers usw. eingehen. […] In Indien ist dieser Glaube später geschwunden und hat der Seelenwanderungstheorie Platz gemacht, in Persien dagegen hat er sich mit geschichtsmythologischen Gedanken verbunden und ist dadurch zu einem wesentlichen Element nicht nur der persischen Lehre, sondern auch der beiden vorderasiatischen Weltreligionen [Christentum und Islam] geworden.“23

Diese buchstäblich körperlich gedachte avestisch-iranische Erweckung der Toten bei einem „Jüngsten Gericht“ ist über den Umweg über das Judentum auch zu einer Glaubensgrundlage des Christentums geworden. Da das Christentum aber ebenfalls die Seelenvorstellungen (und die „Erbsünde“) aus dem Platonismus und der pythagoräischen Esoterik übernahm und sie dahingehend zum Extrem überspitzte, dass die vermeintliche „Seele“ von der platonischen Dreiheit auf eine Einheit reduziert wurde und nun als eigentlicher Identifikationsträger des Menschen galt (vgl. z.B. Matth. 10,28), während die körperlich-irdische Existenz spätestens seit Augustinus als minderwertig und lediglich als vorübergehende Unpässlichkeit und Prüfung empfunden wurde, haben diese zwei völlig widersprüchlichen Konzepte der körperlichen Wiederauferstehung einerseits und des Fortlebens der Seele andererseits zwangsläufig zu abenteuerlichen Gedankenkonstruktionen innerhalb der christlichen Dogmatik geführt, konnte die christliche Theologie doch neben der Vorstellung einer „Seele“, die bis zum „Jüngsten Gericht“ in einem als purgatorium bzw. „Vorhölle“ verstandenen Bereich des „Fegefeuers“ verblieb, auch deren endgültige Wiedervereinigung mit dem Körper für sich reklamieren. Schon der Erste Korintherbrief des Paulus versucht ab Kap. 15 diese Widersprüche zu erklären und zu entschärfen, indem er das offenbar bereits damals in der zivilisierten Welt unverständliche Konzept der „Auferstehung“ mit dem Blick auf platonische Begriffe wie „Unvergänglichkeit“ und „Unsterblichkeit“ zu erklären versucht, wobei die wirre Argumentation des Verfassers allerdings auch auf heutige Leser zwangsläufig wie eine unausgegorene Phantasterei wirken muss. Damit aber baute die christliche Theologie im Gegensatz zu der griechischen Unsterblichkeitsidee nicht mehr auf der dualistischen Trennung von Körper und Seele auf, sondern auf eine Zurückversetzung in den Zustand einer verwandelten Körperlichkeit mit Einbeziehung des ganzen Menschen bei der endzeitlichen Wiederauferstehung zu einer ewigen Jenseitsexistenz, was sich wiederum mit den Vorstellungen des Avesta des Zoroaster (Zarathustra) deckt. Eben deshalb war die Einäscherung im Christentum auch lange verboten und bleibt bis heute unter rheinischen und süddeutschen Katholiken verpönt, da die körperliche Wiederauferstehung der Gebeine durch die Verbrennung des Körpers als unmöglich erachtet wird.

Auch die indischen Veden kennen all diese Vorstellungen noch nicht, und Jenseitsvorstellungen beschäftigten die Menschen der vedischen Zeit offenbar verhältnismäßig wenig: Zusätzlich zu dem oben erwähnten Modell eines Zerfalls der Persönlichkeit in ihre Bestandteile ist auch die Vorstellung nachweisbar, dass der Tote (nicht aber seine „Seele“!) in Nähe seiner einstigen Behausung umherschweife und deshalb von seinen Angehörigen gespeist werden müsse oder dass er in eine Unterwelt gelange oder (in sehr viel späteren Quellen) durch magische Riten der Brahmanen zum Himmel emporsteige, um in der Gemeinschaft der Götter zu leben. Erst in der Upanishad-Zeit im ersten Jahrtausend vor der Zeitenwende, also ca. 2000 Jahre nach der indoeuropäischen und knapp 1000 Jahre nach der vedischen Epoche, beginnt sich auch in Indien eine Vorstellung durchzusetzen, die dem Veda bis dahin völlig fremd gewesen war, die für die ganze spätere Entwicklung der unter dem Begriff Hinduismus zusammengefassten Religionen Indiens aber von richtungsweisender Bedeutung werden sollte: der Glaube, dass der tote Mensch entsprechend seiner guten oder bösen Taten (karma) auf Erden oder anderswo als Tier, Mensch, Gott oder in anderer Weise wiedergeboren werde. Sie ist zeitlich sogar äußerst präzise fassbar, da sie als bewusste Neuformulierung erstmals in Kap. 3,2,13 der Brihadâranyaka-Upanishad des religiösen Lehrers Yâjnavalkya aus dieser Zeit formuliert ist und möglicherweise auf eine Übernahme dravidischer Vorstellungen zurückzuführen ist. Die zuweilen in ariosophisch-armanischen und esoterischen Kreisen geäußerte Behauptung, bereits im Veda fände sich der Glaube an „Wiedergeburt“, und dann mit Hinweis auf die raren (und eher rätselhaften) Stellen auf eine „Wiedergeburt“ in dem altnordischen Schrifttum (s.u.) solch einen Glauben als „ur-indoeuropäisch“ zu postulieren, ist also quellenkundlich grober Unfug.

Anders als in populär-medial weit verbreiteten Ansichten kennt der sich streng auf den historischen Buddha Siddhartha Gautama zurückführende Buddhismus (im Gegensatz zu dem durch die mediale Präsenz des Dalai-Lama heute fast schon populäreren tibetischen Lamaismus) ebenfalls keine Seelenwanderungslehre, denn bereits die Vorstellung, es gebe überhaupt ein „Ich“, ein abgegrenztes personales Selbst, gilt dort als eine grundlegende Täuschung über das Wesen der Wirklichkeit, über die man sich in „Achtsamkeitsmeditationen“ bewusst zu werden hat. Sind die individualisierenden Faktoren eines Menschen – nämlich Unwissenheit und Begierde – durch das Erreichen von Wissen und Begierdelosigkeit aufgehoben, dann ist auch die Aufhebung und das Erlöschen der Individualität erreicht. Und da sich der ganze Erlösungsvorgang im Buddhismus ausschließlich auf das Erlöschen dieser Individualitätsfaktoren richtet, wird für den Buddha die Annahme eines Selbst im Menschen logisch überflüssig. Zwar haben spätere buddhistische Schulen die Vorstellung eines karmischen Persönlichkeitsanteils entwickelt, der nach dem Tod die Zeugung eines neuen Lebens mit auslöst (allerdings ohne selbst darin überzugehen), um so den Kreislauf der Geburten in Gang zu halten – sowie auch die Vorstellung eines Boddhisvata, der aus Mitleid mit der Menschheit auf eine Auflösung im Nirwana verzichtet und sich deshalb aufgrund seiner spirituellen Erleuchtung bewusst und zielgenau zu reinkarnieren weiß (so im Lamaismus). Gerade die frühen in indoeuropäischem Pali verfassten buddhistischen Texte aber betonen den Verfall des gesamten Selbst beim Tod, da dieses Selbst nur das Resultat einer Zusammenwirkung von Empfindung, Wahrnehmung und Intellekt ist, und somit eine ebenso zusammengesetzte Wirklichkeit wie z.B. ein Wagen, der nur aus seinen Einzelteilen besteht, von denen nach Zerstörung des Wagens auch keines mehr seine frühere Funktion weiter erfüllen kann. Genau wie bei den griechischen Philosophen ist aber auch im Buddhismus alles Zusammengesetzte dem Verfall unterworfen, und somit ist auch dort das vermeintliche Selbst lediglich eine vergängliche Struktur. Diese buddhistische Argumentation entspricht bis ins Detail der des griechischen Philosophen Epikur.

Im Fall der von antiken Autoren überlieferten Hinweise auf eine durch die keltischen Druiden vertretene „Seelenwanderungslehre“ ist schon lange nachgewiesen, dass es sich dabei nicht um unabhängig voneinander entstandene Zeugnisse handelt, sondern um eine einzige Rezeptionslinie, die eindeutig auf Poseidonios zurückzuführen ist,24 was deren Wahrheitsgehalt erheblich in Frage stellt, denn die Vorstellung liegt zu nahe, dass dieser die neuen griechischen Vorstellungen seiner Zeit auf die Druiden projizierte (die er schwerlich aus persönlicher Bekanntschaft gekannt haben dürfte), um sie als wahre Weise im Sinn einer pythagoräischen Lehre darzustellen. Diese antike Außensicht wird außerdem nur scheinbar durch inselkeltische Überlieferungen gestützt, die von unzähligen Metamorphosen einiger weniger Protagonisten in mythologischen Erzählungen berichten. Diese auf Götter und singuläre gottgleiche Sagengestalten bezogenen Vorgänge und Befähigungen belegen daher noch keineswegs die allgemeine Wiedergeburtsvorstellung in der keltischen Religionsgeschichte. Das selbe Problem stellt sich angesichts germanischer Parallelen (s.u.).

Dabei sollte man auch bedenken (was von heutigen Kelten-Romantikern durchweg übersehen wird), dass das Druidentum ja keine allgemein keltische Institution war. Es war vielmehr eine rein britische Eigenheit. Von all den über ganz Kontinental-Europa von Spanien über Mitteleuropa und das Donaugebiet bis nach Anatolien siedelnden keltischen Völkern kannten nur die Gallier das Druidentum, das sie wohl aufgrund ihrer engen Beziehung zu ihren britischen Nachbarn von dort übernommen hatten, denn alle gallischen Druiden mussten – genauso wie die irischen – ihre Ausbildung in Britannien absolvieren, wo die vor der nordwestlichen Küste von Wales liegende Insel Anglesey offenbar ein druidisches Zentrum war. Das völlige Fehlen des Druidentums bei allen anderen Kelten lässt es als wahrscheinlich erscheinen, dass dieses Phänomen Folge der Verschmelzung keltischer Einwanderer in Britannien mit der dortigen Urbevölkerung und somit von dieser übernommen war. Es wäre damit eine vor- bzw. nicht-indoeuropäische Institution, wofür gleichfalls spricht, dass kein anderes indoeuropäisches Volk auch nur Ähnliches kannte. Da wir über die nachtodlichen Vorstellungen der vor-indoeuropäischen Völker Europas mangels schriftlicher Quellen aber wenig Sicheres sagen können, ist natürlich auch nicht kategorisch auszuschließen, dass hier möglicherweise postmortale Seelenvorstellungen existierten, die so ihren Weg in den Glauben der britischen Kelten fanden. Gemein-indoeuropäisch aber ist diese Vorstellung schon deshalb nicht, weil – wie aufgezeigt – das heutige Konzept des Dualismus einer vom Körper unabhängig existierenden „Seele“ gar nicht existierte.

Aber was ist mit den vereinzelten Hinweisen auf eine „Wiedergeburt“ in den altnordischen Texten, die sich ja nicht ignorieren lassen? Dabei kann man selbst den besser informierten Heiden allerdings keinen Vorwurf machen, da hier die akademische Forschung selbst mit einigen Irrungen und Wirrungen zu kämpfen hatte:

„Daß das Thema Reinkarnation in der Forschung zur altgermanischen Religionsgeschichte außerordentliche Popularität erlangt hat, hängt wesentlich mit einem genealogischen Traditionsmuster zusammen, das vom Weiterleben wichtiger Persönlichkeitsmerkmale eines Verstorbenen in den Nachkommen der eigenen Sippe ausgeht. Was auf den ersten Blick daher wie eine auf den Radius der engeren Verwandtschaft eingegrenzte Reinkarnationslehre aussieht, entpuppt sich aber bei näherer Betrachtung als eine die Generationen verbindende Partizipationsvorstellung: Im gleichnamigen Enkel leben markante Eigenschaften des verstorbenen Großvaters fort. Daß dabei tatsächlich nicht das Motiv einer postmortalen Wiederverkörperung im Zentrum der Aussage steht, illustriert die Geschichte von der verwandtschaftlichen Partizipation zwischen Thorgil Bodvarsson und Kolbein Arnorsson, dessen Tod erst 19 Jahre nach der Geburt Thorgils eintrat und dessen ‚Wiedergeburt‘ in Thorgil daher nicht als eine auf den vorangegangenen Tod folgende Reinkarnation verstanden werden kann, wie es asiatische, aber auch moderne westliche Reinkarnationskonzepte voraussetzen. In der Folgezeit bildete dieses von der Forschung – nicht zuletzt auch aufgrund der altnordischen Terminologie – heraufbeschworene Mißverständnis einer altgermanischen Reinkarnationslehre einen willkommenen und scheinbar legitimen Anknüpfungspunkt für moderne Revitalisierungsversuche germanischer Religiosität. Die wissenschaftliche Erforschung vorchristlicher Kulturen in Nord- und Mitteleuropa hat auf diese Weise gerade im Kontext von Postmortalitätsvorstellungen als Katalysator einen erheblichen Einfluß auf das religiöse Selbstverständnis neugermanischer Bewegungen gehabt.“25

Die Belege dafür im altnordischen Schrifttum sind auch mehr als dünn, um es einmal gelinde auszudrücken, und werden zumeist an dem altnordischen Begriff endrborinn festgemacht. Die konkrete Vorstellung einer „Wiedergeburt“ beschränkt sich dabei sowieso auf wenige und extrem wirkende Ausnahmefälle: In Gautreks saga 7 heißt es von Starkaðr Stórvirksson, er sei ein wiedergeborener Riese gleichen Namens, da er Narben an den Stellen aufweise, an denen Thor seinem gleichnamigen riesischen Stammvater dessen sechs Arme ausgerissen habe. Der heilig gesprochene norwegische König Olaf Haraldsson wird von einem Gefolgsmann gefragt, ob er eine „Wiedergeburt“ des legendären norwegischen Kleinkönigs Olaf Geirstadálfr sei, was er wütend verneint. In den Helgi-Liedern des Codex Regius wird das Motiv der „Wiedergeburt“ ausschließlich dazu verwendet, drei Paare miteinander zu verknüpfen, die zwar nicht verwandtschaftlich verbunden sind, sich davon abgesehen aber sehr ähnlich sind: Es geht dabei stets um einen herausragenden Helden namens Helgi und um eine mit ihm verbundene Walküre. Und in all diesen Fällen ist nicht nur die Namensgleichheit entscheidendes Merkmal, sondern auch die Beschränkung auf außergewöhnliche soziale oder mythische Positionen: Held, Walküre, König, Riese, Göttin/Hexe (Letzteres im Fall der Gullveig/Heið aus Völuspá 21f.) – nirgendwo aber wird das auch auf den „Bauern von nebenan“ ausgedehnt. Das letzte weitere Beispiel der Verwendung des Wortes stammt aus den Postola sögir, wo in Jons Baptista saga II die Vorstellung als Irrglaube bezeichnet wird, Johannes der Täufer sei der wiedergeborene Elias, was aber ein direkter Rückgriff auf Matth. 11,14 bzw. Joh. 1,21 und somit für altnordische Verhältnisse ohne Belang ist. Wäre der Glaube an Wiedergeburt nach Art hinduistischer Vorstellungen allgemein verbreitet gewesen, gäbe es in den Quellen auch viel mehr Belege dafür. Diese aber sprechen gerade dagegen.

Schaut man in die isländischen Sagas, sieht die Geschichte nämlich schon ganz anders aus. Gerade das von Gregor Ahn oben angesprochene Beispiel des in der Þorgils saga starða berichteten „Wiedergeburtsverhältnisses“ zwischen mütterlichem Onkel und Neffen, das erst ab dem Punkt beginnt, als Kolbeinn zu einem Zeitpunkt stirbt, als sein Neffe Þorgils bereits 19 Jahre alt ist, liefert damit einen Schlüssel zum Erklärungsverständis entsprechender altnordischer Begrifflichkeiten. Es geht dabei stets um die Weitergabe von hamingja oder fylgja, zweier außerpersonaler Persönlichkeitsaspekte, die nichts mit einer eigenen „Seele“ zu tun haben, sondern die auf ganz anderen Denkmustern beruhen und quasi unabhängige und ein Eigenleben führende außerpersonale Aspekte sind, die das eigene Selbst lediglich locker begleiten, ihm aber nicht unlösbar anhaften. Sie allerdings ließen sich – auch schon zu Lebzeiten des Besitzers – auf andere Personen (in der Regel aus der eigenen Sippe) übertragen, so z.B. auch im Fall von Jökulls letztem Willen in der Vatnsdæla Saga und in zahlreichen weiteren Beispielen.

Trotz der höchst problematischen Quellenlage, für die regional divergente archäologische Funde, ethnozentrisch geprägte Sekundärberichte und christlich akkulturierte Textsammlungen charakteristisch sind, lässt sich die Vorstellung von einem Weiterleben nach dem Tod als Grundkonsens germanischer Religionsgeschichte aber ebenfalls klar belegen, wobei die Details aber so erheblich variieren, dass daraus nicht einmal ansatzweise ein einheitliches Bild zu gewinnen ist. Aber wen sollte das verwundern? Angesichts der uns bereits in den germanischen Quellen völlig unterschiedlich und widersprüchlich entgegentretenden nachtodlichen Konzepte stellt sich ja überhaupt die Frage, wie konkret solche Vorstellungen denn jemals ausgeformt waren. Das lässt sich bis in die Gegenwart hinein erkennen: Selbst gläubige und bekennende Christen haben trotz angeblich eindeutiger Antworten durch ihre Religion oft die widersprüchliche Empfindung, dass der Tote einerseits körperlich im Grab liegt, andererseits „im Himmel“ ist und doch gleichzeitig als „um einen herum“ erfühlt wird, während kaum jemand mehr öffentlich die „Auferstehung des Fleisches von den Toten“ zu vertreten wagt, die von einer im wörtlichsten Sinne körperlichen Erweckung aller Rechtgläubigen aus dem Grab und ihrer auch körperlich gedachten Wiederherstellung anlässlich des „Jüngsten Gerichts“ ausgeht, die aber nach wie vor christliche Doktrin und unverzichtbarer Teil des Glaubensbekenntnisses ist.

Die germanischen Jenseits-Reiche der Hel oder andere in den Götterbereichen angesiedelte und verdächtig christlich und verklärt wirkende Aufenthaltsstätten der Toten wie Gimlé (Völuspá 64) sind uns zudem nur aus der auf rein höfische Kreise zielenden skaldischen Dichtung vertraut. Die eher volkskundlichen Belege aber sprechen eine ganz andere Sprache: Hier wird klar von der Präsenz und Wirksamkeit des Verstorbenen im Umkreis seiner Begräbnisstätte ausgegangen, der im Grabhügel weiterlebte und von besonders hellsichtigen Personen dort auch erblickt werden konnte. Vor allem im südgermanischen Bereich ist diese mit einer gleichzeitigen Stilisierung des Grabhügels zu einem Berg verbundene Anschauung anzutreffen. Über Erzählzyklen wie den im Berg fortlebenden Heldenkaiser (z.B. Barbarossa im Kyffhäuser), von dem man sich in Notzeiten eine körperlich identische Rückkehr (nicht aber eine Reinkarnation!) erhoffte, ist diese ursprünglich altgermanische Vorstellung schließlich in der europäischen Kultur- und Religionsgeschichte des Mittelalters, aber auch in der Neuzeit weiter rezipiert worden.

Nicht nur die im Fall hochgestellter Persönlichkeiten verschwenderischen Grabbeigaben sondern auch die Maßnahmen gegen Wiedergängertum sprechen klar gegen einen allgemein-germanischen Glauben an „Wiedergeburt“. Das Verschließen von Mund, Ohren und Nase sowie rituelle Fesselung im Beinbereich sind klar als Verhinderung eines Umgehens des Toten erkennbar, der bei entsprechendem Verdacht auch exhumiert, verstümmelt und verbrannt wurde. Und gerade angesichts von Phänomenen wie der Wilden Jagd und dem Volksglauben, der die Julzeit umgibt, wonach die Toten zu gewissen Zeiten die Welt der Lebenden in sehr körperlich wirkender Form auf- oder heimsuchen können, ergibt sich eine klare Vorstellung: „Sie knüpft daran an, dass die Toten nicht in einer anderen, sondern in dieser Welt leben.“26

Welchen Sinn auch würden z.B. die Details der berühmten Bestattungen von Oseberg oder Sutton Hoo machen, wenn die germanischen Völker einer verklärten und entkörperlichten „Reinkarnationslehre mit Karma-Bewusstsein“ angehangen hätten, über die Guido List in seiner ariosophischen Weltsicht so hingebungsvoll schwadroniert27 und die von dem rassenmystisch orientierten Armanen-Orden und anderen Anhängern von Lists „Ariosophie“ bis heute gläubig tradiert wird. Gerade die in dieser Hinsicht auffällige Germanische Glaubensgemeinschaft (GGG) ist deshalb für Gregor Ahn auch Musterbeispiel für eine typische „Berufung moderner esoterischer Kreise auf vermeintlich gesicherte keltische oder germanische Seelenwanderungslehren“.28 Wer allerdings unbedingt darauf erpicht ist, heutige esoterische Wunschvorstellungen einer platonisch-christlichen Seele in die Quellen hineinzuinterpretieren, dem bieten die germanischen Quellen gerade aufgrund ihrer Spärlichkeit und Widersprüchlichkeit natürlich eine willkommene Projektionsfläche.

Bil Linzie hat darauf hingewiesen, dass der Glaube an Wiedergeburt bereits auf dem Ersten Konzil von Konstantiopel 385 als Häresie erklärt wurde. Von dem Zeitpunkt, an dem erstmals christliche Bekehrer germanische Gebiete betraten, bis zur Christianisierung Skandinaviens 700 Jahre später entstanden unzählige antiheidnische Predigten, religiöse Vorschriften und Verbote, Briefe an den Papst und Aufzählungen heidnischer „Irrlehren“, die oft auch aus der Feder von Neubekehrten der ersten Generation stammten. Nirgendwo darin aber findet sich auch nur der geringste Hinweis auf einen Glauben an Wiedergeburt, und es ist kaum glaubhaft, dass den eifrigen Missionaren ein solch wichtiger und in ihren Augen sündiger Glaube 700 Jahre lang völlig entgangen sein sollte. Erst 200 Jahre nach der Bekehrung Islands taucht in der Literatur plötzlich wie aus dem Nichts erstmals eine „wiedergeborene Swáwa“ auf, ohne dass dem irgendwelche ideengeschichtlichen Motive vorausgegangen wären. Die Frage, warum die christlichen Verfasser der entsprechenden Texte den Glauben an Wiedergeburt auf einmal als Kennzeichen des vergangenen Heidentums darstellten, beantwortet Bil Linziesehr überzeugend mit dem Hinweis auf die genau zeitgleich zur Entstehung der Texte einsetzenden Kreuzzüge gegen die Katharer in Frankreich (ab 1209), die nicht nur deshalb Tagesgespräch in ganz Europa waren, weil erstmals ein Kreuzzugsheer ein christliches Land überfiel. Die Katherer nämlich glaubten an die Möglichkeit der Wiedergeburt (zumindest wurden sie von ihren Verfolgern dessen bezichtigt), und so wurde dieser angebliche Glaube plötzlich geradezu zu einem Kennzeichen und Merkmal von Häresie und Irrlehre schlechthin. Und genau deshalb dürfte dieser Glaube von den christlichen Verfassern der altnordischen Texte auch nachträglich dem 200 Jahre zuvor untergegangenen germanischen Heidentum ihrer Vorfahren bewusst und völlig fälschlich übergestülpt worden sein.29

Aber natürlich darf auch nicht unterschlagen werden, dass das Wort „Seele“ selbst süd- bzw. ostgermanischen Ursprungs ist, das im Nordgermanischen aber keine etymologische Entsprechung hat, sondern in der altisländischen Form sál ein Lehnwort darstellt, das den Norden erst mit der Christianisierung erreichte. Allerdings handelt es sich bereits bei seinem ersten Auftreten in den Quellen in der Form saiwilo in Wulfilas Bibelübersetzung um eine rein christliche Umdeutung. Die etymologische Ableitung von saiwaz (See) hilft nicht wirklich weiter, weil wir nicht wissen, was ein entsprechender Persönlichkeitsaspekt mit einem See zu tun gehabt haben könnte. Natürlich ist hier viel spekuliert worden, dass Seen die Aufenthaltsorte der Verstorbenen und Ungeborenen gewesen seien (vgl. die Teiche der Holle und den darin herumstapfenden Storch als Kinderbringer), aber das sind durchweg neuzeitliche Belege, die keinerlei Entsprechung in altnordischen oder irgendwelchen vorchristlichen Quellen haben (was natürlich nur von eingeschränktem Beweiswert gegen heidnische Vorstellungen wäre). Auch bei saiwalo muss es sich aber wohl um einen Teil des germanischen Persönlichkeitskomplexes gehandelt haben, der uns im Altnordischen möglicherweise unter anderem Namen entgegentritt, und der künftig als christliche Entsprechung für psyché bzw. anima diente.

Was hier für gewaltige inhaltliche Umdeutungen nötig waren, machen aber gerade die Versuche klar, eine germanische Entsprechung für pneuma bzw. spiritus zu finden, wobei man sich mit dem äußerst problematischen Begriff gaistaz zu behelfen versuchte, der im Germanischen nämlich ausschließlich die Bedeutung hatte, die „Geist“ auch in der heutigen deutschen Sprache noch als Nebenbedeutung hat: Gespenst.

„Die gotische (also ostgermanische) Bibelübersetzung war ohnehin schon viel früher andere Wege gegangen und hatte pneuma durch ahma verdolmetscht (verwandt mit dt. achten. Wulfila rückt also beim pneuma-Begriff das Denkvermögen in den Vordergrund). Und bei den Nordgermanen behalf man sich mit einer ‚Lehnübersetzung‘ von spiritus: andi. Im südlichsten Teil des südgermanischen Raumes (also im Süddeutschen) bestanden anfangs starke Widerstände gegen den Gebrauch des Wortes ‚Geist‘ in der Kirchensprache. Auch hier hielt man sich an eine ‚Lehnübersetzung‘ von spiritus: âtum (Atem). Ein Bekenntnis wie ih gilaubu in heiligan geist (so im fränkischen Taufgelöbnis aus dem 9. Jh.) mag in vielen süddeutschen Ohren anfangs tatsächlich geklungen haben wie: Ich vertraue dem unverletzlichen Schreckgespenst. Man bekannte also lieber: gilaubiu in âtum wihan (so im Weißenburger Katechismus des 9. Jh.). Doch hat sich schließlich der ‚Geist‘ auch hier durchgesetzt. Immerhin zeigt noch im 11. Jh. das oberdeutsche Ezzolied beachtliche Schwankungen: der geistliche Verfasser braucht das Wort geist nur ein einziges Mal, wo es nämlich den (Lebens-)Odem bezeichnen soll, den Gott dem Menschen bei der Schöpfung einhaucht (in Gen. 7,2: pnoé bzw. spiraculum); dort aber, wo der Geist (Gottes Geist, der Heilige Geist) gemeint ist, setzt er atem.“30

All das belegt klar, dass es problemlose Entsprechungen für das christliche Seelenverständnis im Germanischen eben nicht gab, sondern solche erst mühevoll konstruiert und germanischen Begriffen mit ursprünglich ganz anderer Bedeutung gewaltsam übergestülpt werden mussten. Wenn heutige Heiden von der „Seele“ und deren nachtodlichem Schicksal reden, ist damit in der Regel in einem unhinterfragten populären Verständnis des Begriffs das als intellektuell-reflektierend erlebte Ich-Bewusstsein gemeint. Dieses jedoch wäre damals leicht mit der gemeingermanischen Bezeichnung hug- (althochdeutsch: huge, altnordisch: hugr) gleichzusetzen gewesen, was aber eben nicht erfolgte, woraus eben deutlich hervorgeht, dass die vermeintliche „Seele“ gerade nicht mit dem Ich-Bewusstsein gleichgesetzt wurde. Exemplarisch lässt sich das anhand der Wortwahl zu Beginn des Magnifikats in Otfrid von Weißenburgs Evangeliendichtung aus dem 9. Jahrhundert veranschaulichen:

„Da sprach die heilige Maria, was ihr im Sinne [huge] lag: ‚Nun soll mein Geist, der mit der Seele und den Gliedern des Leibes verbunden ist, den Herrn preisen. Ich bin des Herrn froh, all meine Tage freue ich mich im Gemüt [muote] Gottes, meines Heilands.‘“

„Es ist offenbar: Wo der geistliche Dichter an die biblisch-theologische Begrifflichkeit gebunden ist, gebraucht er ‚Seele‘ und ‚Geist‘ […] Wo er bei der Darstellung seelischer Vorgänge und Zustände im Menschen freier formulieren kann, greift er auf die bewährte Ich-Seelen-Terminologie (huge, muote) zurück. Dabei blieb es bis zur Neuzeit. Sollten außerhalb des ‚kirchlichen Sprachraums‘ kognitive, volitive oder emotionale Kräfte und Prozesse zum Ausdruck gebracht werden, dann verwendete man ‚Witz‘ (Denkkraft), ‚Mut‘, ‚Herz‘ – nicht ‚Geist‘ oder ‚Seele‘. Erst unter dem Einfluß Kartesianischer Philosophie wohl, die ja esprit oder âme als ‚denkende Substanz‘ mit der Fähigkeit, zu erkennen, zu wollen, zu fühlen, vom Körper als ‚ausgedehnter Substanz‘ unterschied, wurden nun die deutschen Wörter ‚Geist‘ und ‚Seele‘ (als ‚Übersetzung‘ von esprit und âme) auch Bezeichnungen für die inneren Vorgänge und Zustände im Menschen.“31

Spätestens hier wird klar, wie kompliziert die Sachlage schon allein angesichts der Terminologie ist, da die entsprechenden Begrifflichkeiten bis heute einer erheblichen Bedeutungsinflation ausgesetzt waren. Leicht wird auch übersehen, dass die europäische Religionsgeschichte sehr viel komplexer verlaufen ist, als es eine auch gerade von heutigen Heiden liebevoll gepflegte rein christozentrische Sichtweise naheliegen könnte. Bei aller Dominanz des Christentums ist die Geschichte aber doch von zahlreichen anderen Strömungen mitgeprägt worden: sei es die Religion der Katharer, die der europäischen Juden und Roma, die als heterodox ausgegrenzten Divinationspraktiken der Astrologie und des sogenannten Volks- oder Aberglaubens, die Religion von Migranten usw., was sich eben auch auf divergierende Seelen- und Postmortalitätsvorstellungen bezieht. Diese Erkenntnisse haben sich verständlicherweise aber erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herausbilden können.32

Als Resultat all dessen lässt sich deshalb postulieren, dass eine genaue und endgültige Fassbarkeit nordeuropäischer „Seelen“- und Jenseitsvorstellungen heute schlichtweg unmöglich ist, was nicht allein der Quellenlage sondern vielleicht mehr noch unserer eigenen und durch christliche Sozialisation zementierten Voreingenommenheit bezüglich dieser Begrifflichkeiten zuzuschreiben ist. Wer von uns Heutigen kann denn wirklich noch die germanische Vorstellung in all ihren Facetten nachvollziehen oder gar als Glaubenswahrheit akzeptieren, dass ein Held „Urlaub“ aus Walhall erhält, um für eine sehr körperliche Liebesnacht mit seiner Witwe in seinen Grabhügel zurückzukehren?33 Damit kommen wir zu der letztlich entscheidenden Frage, was uns all das für unser heutiges Heidentum geben kann.

Historische Quellenkunde ist das eine, persönlicher Glaube – den man im Heidentum niemandem diktieren kann – das völlig andere. Anders als die auch im Diesseits erfahrbare Präsenz der Götter bleibt uns das Wissen um das Reich jenseits des dunklen Tores, das am Ende einer jeden menschlichen Existenz steht, zu Lebzeiten verschlossen, und die Frage, was dahinter liegt – ja, ob überhaupt etwas dahinter liegt –, ist eine der ältesten und gleichzeitig unbeantwortbarsten Fragen der Menschheit. Wüssten wir Sicheres darüber, würde das sehr zu einer Antwort auf die ebenso große Frage nach dem „Sinn des Lebens“ beitragen – so zumindest glauben viele. Tatsächlich aber ist genau das Gegenteil der Fall. Ein „Sinn“ des Lebens kann immer nur insoweit existieren, wie man sich einen solchen selbst erarbeitet (oder erarbeiten will). Bei der Vielschichtigkeit jedes individuellen Lebens wird es auf diese Frage aber nie eine einzige oder gar für alle gleichlautende Antwort geben. Man mag in fortgeschrittenem Alter vielleicht sogar zu der Antwort kommen, dass es einen solchen Sinn eben nicht gibt, und erkennen, dass gerade diese Erkenntnis der „Sinn des Lebens“ ist. Aber spätestens hier geraten wir endgültig in das Reich individueller Spekulation.

Die übermäßige Beschäftigung mit Fragen zu diesem Thema erweist sich auch gerade nicht als Mittel zur Befreiung davon, sondern mag im Gegenteil leicht zu einem Hindernis dabei werden, geht es hier doch um ein intuitives Wissen, zu dem wir nie gelangen können, solange wir krampfhaft das zu bleiben versuchen, was wir sind, worauf auch Sokrates mit seinem Ausspruch hinweist: „Wer etwas zu sein meint, hat aufgehört, etwas zu werden.“ Die oft geäußerte heidnische Lebensweisheit, dass Überlegungen und Sorgen bezüglich einer nachtodlichen Existenz völlig überflüssig seien, solange man sich mit bester Kraft vordringlich um das irdische Leben kümmert und das so gut und ehrenhaft wie möglich zu leben versucht, dürfte einer gewissen Berechtigung aber nicht entbehren und scheint auch in bester Übereinstimmung mit den Quellen zu stehen. Je stärker nämlich der Glaube an eine Seele und deren nachtodliche Existenz ist, umso näher liegt auch die gefährliche Tendenz einer theologischen Vertröstung auf eine spätere Zeit und darauf, dass wir das, was wir an Schlechtem in unserem Leben erleben, eben demütig zu erdulden haben, was mit dem heidnischen Geist Nordeuropas, wie er uns in allen Quellen entgegentritt, gänzlich unvereinbar ist. Und zu allen Zeiten wurden Menschen, die ein sicheres Wissen über die Existenz jenseits jenes Tores reklamierten und predigten, zu Recht entweder als Scharlatane, Spinner oder Lügner abgetan – zumindest von jenen Menschen, die selbst denken konnten. Und da es im Heidentum um dieses „selbst denken können“ geht, was uns gerade angesichts des durch alle Zeugnisse der germanischen Religionsgeschichte als sehr locker betrachteten „Problems“ des Todes bestätigt wird, sind alle quellenkundlichen Betrachtungen zu diesem Thema gerade angesichts der aus den altnordischen Quellen zahlreich ableitbaren und sich völlig widersprechenden Modellen für eine individuelle Bewältigung dieses Themenkomplexes denn auch nur wenig hilfreich: Finden wir also Aufnahme bei Hel oder in der Halle unserer Lieblingsgottheit? Toben wir unter Führung Wodans in der nächtlichen Wilden Jagd über das Land? Gehen wir wie Thorolf in der Eyrbyggja Saga in den nächstgelegenen Berg ein und werden so zu den Alben und Bewohnern der Grabhügel – und somit zu den verlässlichen Schutzgeistern unserer eigenen Nachkommen? Oder sollte es uns gar vergönnt sein, als Furcht und Schrecken verbreitende Wiedergänger hingebungsvoll unsere spießigen christlichen Nachbarn zu terrorisisieren, die wir schon zu Lebzeiten nicht leiden konnten?

Die Lösung dieser offenbar auch für viele heutige Heiden quälenden Frage kann aber nicht darin liegen, eine endgültige Antwort darauf finden zu wollen, welche der verschiedenen nachtodlichen Vorstellungen einer lange versunkenen bäuerlichen oder kriegerischen Vergangenheit denn wohl objektiv „die Richtige“ sei, sondern vielmehr in dem Erreichen eines geistigen Zustandes spiritueller Reife, der einen von den mit dieser Frage verbundenen Ängsten zu befreien vermag. Alle Helden der indoeuropäischen Epik verlangte es genau deshalb eben auch nicht nach einem „Leben nach dem Tod“, sondern vielmehr nach Unsterblichkeit und Göttlichkeit. Denn ein „Leben nach dem Tod“ – sofern ein solches denn existiert – kann allen Denkmodellen nach naturgemäß nie etwas Ewiges, sondern bestenfalls nur die Fortdauer einer zeitbedingten Form sein und somit bestenfalls das Schicksal jener beschreiben, die nur teilweise befreit in eine Jenseitswelt eingehen – oder eben das verzweifelte Wunschbild noch sehr von christlicher Erziehung beherrschter Gemüter. Unsterblichkeit aber ist das Ergebnis vollständiger Befreiung, das Teilhaben am ewigen Jetzt des ewig wilden und göttlichen Urgrundes. Sterben heißt, ins kollektive Unbewusstsein einzutreten, sich darin zu verlieren, um in Form, in reine Form verwandelt zu werden.

Der vielleicht anschaulichste Vergleich dafür mag in dem Bild des Regentropfens liegen, der nach seiner langen Reise aus den Wolken auf die Oberfläche des Meeres trifft und darin aufgeht. Zwar hat er danach keine individuelle Existenz mehr, aber dennoch geht bei seiner Vereinigung mit dem Meer kein einziges seiner Moleküle und Atome verloren, sondern sie alle gehen auf in der unendlichen Gesamtheit des Ozeans und bilden fortan einen Teil davon, bis sie durch Verdunstung vielleicht irgendwann wieder Teil irgendeines anderen Feuchtigkeitsanteils in der Welt werden. Und dieses Bild könnte auch als Verständnisschlüssel für die entsprechenden Metaphern aller Religionen stehen: das „Eingehen in die Herrlichkeit Gottes“ der Christen, das Nirwana der Buddhisten und das Samhadi der Hindus, die Aufnahme in eine Götterburg in Asgard oder die Umarmung durch Hel usw., wobei sich die Detailvorstellungen dabei je nach individuellem Verständnis und soziologischem Entwicklungsstand einer Gesellschaft sehr unterscheiden mögen. Gerade die germanischen Vorstellungen, die nicht von „einer (!) Seele“ sondern von zahlreichen und ganz unterschiedlichen Persönlichkeitsaspekten ausgehen, die beim Tod von deren Träger auch wieder in ihre Einzelteile zerfallen und danach entweder vergehen oder sich anderweitig anhaften, haben damit möglicherweise die alt-indoeuropäischen Vorstellungen getreulich bewahrt, wie sich aus den oben erwähnten vedischen, avestischen, epikuräischen und buddhistischen Belegen ergibt, was meiner Metapher von der Auflösung des Regentropfens im Meer durchaus entsprechen könnte. Man sollte auch nicht übersehen, dass hier möglicherweise der ur-indoeuropäische Mythos vom Tod des ersten Lebewesens – nämlich der Zerteilung von Ymir in die Elemente der Welt, die ihre genaue Entsprechung auch im Rig-Veda hat – modellhaft eine individuelle Widerspiegelung beim Tod eines jeden einzelnen Menschen erfährt.

Im europäischen religiösen Denken heutiger Zeit – und auch im Heidentum – fällt nämlich auf, dass man sich hier ausschließlich auf eines der oben erläuterten christlichen oder antiken Modelle beschränkt:

1. Ewiges Leben als das theoretisch unsterbliche Weiterbestehen eines Kernbereichs des Individuums (z.B. der „Seele“) oder des gesamten Menschen in veränderter und nicht mehr verletzlicher Gestalt.

2. Wörtlich verstandene Wiederauferstehung des Toten aus dem Grabe, wobei die durch den Tod getrennten Bestandteile Körper und „Seele“ wiedervereinigt und wieder zusammengefügt auf eine ebenfalls unbefristete Jenseitsexistenz hoffen dürfen.

3. Reinkarnation/Seelenwanderung/Wiedergeburt als die mehrfache oder gar unbegrenzt häufige Wiederverkörperung des als Ich-Bewusstseins verstandene Existenz jedes Individuums in einer neuen menschlichen Neuverkörperung.

Vor allem die aus christlichem Denken übernommene Idee, eine mögliche nachtodliche Existenzform sei im Gegensatz zur irdischen zeitlich nicht mehr befristet, scheint auch unter heutigen Heiden als selbstverständlich angenommen und nie hinterfragt zu werden, obwohl gerade eine solche Vorstellung erhebliche philosophische Fragen aufwirft. Richtet man den Blick aber auf andere ethnische Religionen, findet man auch ganz andere Modelle: So wird z.B. in einzelnen afrikanischen Religionen zwar auch von einem Weiterleben von Seelen- oder Personenanteilen der verstorbenen Vorfahren in Individuen der nachfolgenden Generation ausgegangen, mit dieser Vorstellung ist aber weder ein Modell der Wiedergeburt noch das der Unsterblichkeit der Seele als Wesenskern des Menschen verbunden. Hier steht vielmehr die Einbettung des einzelnen Verstorbenen in den immer fortlaufenden Lebensfluss der Natur im Mittelpunkt, dessen Persönlichkeitsaspekte sich in der menschlichen Gemeinschaft vor allem in den Sozialbeziehungen der jeweiligen Sippenstruktur auswirken. Mit dem im Lauf mehrerer Generationen allmählichen Verblassen der sozialen Erinnerung an den Verstorbenen gehen diese dann aber ganz in der Sippengemeinschaft auf.34 Ein solch organisches Verständnis der Nachwirkung Verstorbener könnte man problemlos aber auch aus den altnordischen Quellen ableiten.

Aber nicht das verzweifelte Hoffen auf eine nachtodliche Weiterexistenz des beschränkten eigenen Ichs oder gar auf auf dessen ständiges Weiterbestehen in Form von Wiedergeburten nach dem Modell neumodischer Esoterik heilt die Angst vor dem Tod, sondern nur die letztendliche Bereitschaft zu der Erkenntnis, ihn als eine der großen und ewigen Formen des Lebens und der Verwandlung anzunehmen:

„Jeder von uns ist aus einer Vielzahl von Ursachen entstanden und wird letztlich aus einer weiteren Vielzahl von Ursachen Zerfall und Auflösung erfahren – und in der Zeit dazwischen durch eine ebensolche Vielzahl von Ursachen andauernde Weiterentwicklung erleben. Auch wenn es verführerisch sein mag, sich mit einer oder ein paar dieser Ursachen zu identifizieren und sich an sie zu klammern wie an ein vermeintlich stabiles Floß in den Stromschnellen, so ist das doch zutiefst unvereinbar mit der wahren Natur der Dinge – und der unserer selbst. Denn auch dieses Floß wird am Ende in seine Einzelteile zerfallen, und die einzige Erkenntnis, die für uns überhaupt irgendeine stabile Grundlage bilden kann, ist die Bereitschaft zu der Erkenntnis, dass wir selbst und die Wasser, die uns mit sich reißen, letztendlich ein und dasselbe sind.“35

Um all das – und wie man daraus Trost auch für die eigene Person gewinnen kann – wusste auch noch jene altgläubige Römerin der Kaiserzeit, die sich dem neumodischen Seelenglauben ihrer Zeit wohl nicht so recht öffnen konnte und deren bewegende Grabinschrift wie ein zeitloses Leuchtfeuer alt-indoeuropäischer Vorstellungen über den Abgrund der Jahrhunderte zu uns herüber lodert:

Cinis sum, cinis terra est, terra dea est, ergo mortua non sum
(Asche bin ich, Asche ist Erde, die Erde ist eine Göttin, also bin ich nicht tot).

Vom Weiterleben des Individuums oder gar einer christlichen bzw. platonischen „Seele“ ist auch hier nicht die Rede. Der heidnische Gläubige findet genügend Trost in der Vorstellung, dass er in das ewige „Stirb und Werde“ der göttlichen Natur eingebettet ist. Und so lehrt uns diese bewundernswerte Frau über den Abgrund von zwei Jahrtausenden hinweg, dass Heidentum grundlegendes Vertrauen ist – und nicht esoterisches Besserwissen um eine nachtodliche Existenz.

Weiterführende Literatur

Benz, Ernst: Die Vision. Erfahrungsformen und Bilderwelt. Stuttgart, 1969.

Böhme, Angelika: Die Lehre von der Seelenwanderung in der antiken griechischen und indischen Philosophie. Ein Vergleich der philosophischen Grundlegung bei den Orphikern, bei Pythagoras, Empedokles und Platon mit den Upanishaden, dem Urbuddhismus und dem Jainismus. Düsseldorf, 1989

Cohn, Norman: Cosmos, Chaos and the World to Come. The Ancient Roots of Apocalyptic Faith. New Haven, 1993

Dinzelbacher, Peter: Die Jenseitsbrücke im Mittelalter. Wien, 1973 (zugl. Diss).

[Ders.]: Die Visionen des Mittelalters. Ein geschichtlicher Umriß, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 30 (1978), S. 116-128.

Ellis, Hilda R.: The Road to Hel. A Study of the Conception of Death in Old Norse Literature. Cambridge, 1943

Erickson, Carolly: The Medieval Vision. Essays in History and Perception. Oxford, 1976.

Foß, Rainer: Griechische Jenseitsvorstellungen von Homer bis Plato. Aachen, 1997

Fritzsche, C.: Die lateinischen Visionen des Mittelalters bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts, in: Romanische Forschungen 2 (1886), S. 247-279; 3 (1887), S. 337-369. Nachtrag: Peters, E.: Zur Geschichte der lateinischen Visionslegenden, ebenda 8 (1896), S. 361-364.

Greven, Joseph: Die Visionen des Holsteiners Gottschalk, in: Deutsches Dante-Jahrbuch 7 (1923), S. 39-58.

Jirousková, Lenka: Die Visio Pauli. Wege und Wandlungen einer orientalischen Apokryphe

im lateinischen Mittelalter. Leiden, 2006 (Mittellateinische Studien und Texte ; 34)

Landau, Marcus: Hölle und Fegefeuer in Volksglaube, Dichtung und Kirchenlehre. Heidelberg, 1909.

La Farge, Beatrice: „Leben“ und „Seele“ in den altgermanischen Sprachen. Studien zum Einfluß christlich-lateinischer Vorstellungen auf die Volkssprachen. Heidelberg, 1991 (Skandinavistische Arbeiten 11).

Owen, Douglas D.R.: The Vision of Hell. Edinburgh, 1970.

Patch, Howard R.: The Other World. New York, 1970 (Smith College Studies in Modern Languages 1).

Rüegg, August: Die Jenseitsvorstellungen vor Dante und die übrigen literarischen Voraussetzungen der Divina Commedia, 2 Bände. Einsiedeln, 1945.

Schmidt, Gerhard: The Vision of Thurkill, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 41 (1978), S. 50-64.

Siuts, Hans: Jenseitsmotive im deutschen Volksmärchen. Leipzig, 1911 (Teutonia 19).

Sonnemanns, Heino: Seele – Unsterblichkeit – Auferstehung. Zur griechischen und christlichen Anthropologie und Eschatologie. Freiburg i.Br., 1984 (Freiburger Theologische Studien 128)

Spilling, Herrad: Die Visio Tnugdali. Eigenart und Stellung in der mittelalterlichen Visionsliteratur bis zum Ende des 12. Jahrhunderts. München, 1975 (Münchner Beiträge zur Mediävistik und Renaissance-Forschung 21).

Strömbäck, Dag: Om Draumkvædet och dess källor, in: Arv. Tidskrift för nordisk folkminneforskning 2 (1946), S. 35-70.

Endnoten

1 Jankuhn, Herbert: Nydam und Thorsberg. Moorfunde der Eisenzeit. Neumünster,7 1967. S. 7f.

2 Assmann, Erwin (Hrsg.): Godeschalcus und Visio Godeschalci. Neumünster, 1979 (Quellen und Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins ; 74).

3 Ebenda S. 168 f.

4 Grimm, Jacob: Deutsche Mythologie (Nachdr. der 4. Aufl. Berlin 1875-78). Graz, 1968. S. 697

5 Zu den späteren mit den Totenschuhen verbundenen Brauchtumsvarianten vgl. ausführlich Bächthold-Stäubli, H. (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Berlin, 2000. Bd. 7, Sp. 1333 ff.

6 Hávamál 49, bei Simrock 48, bei Genzmer 62

7 Grimm a.a.O., S. 398

8 Vgl. Bächthold-Stäubli, a.a.O., Bd. 7, Sp. 1336

9 Ebenda Bd. 5, Sp. 1081 mit Literaturhinweisen

10 Assmann a.a.O., S. 171

11 Völuspá 36 u. 39

12 Reginsmál 4

13 Sigrdrífumál 22/23

14 Glasenapp, Helmuth von: Die fünf Weltreligionen. München,7 1998. S. 451f.

15 Baldrs draumar 6f.

16 Vgl. Platon: Gorgias 493a; Kratylos 400c; Phaidon 67cd; 69cd

17 Nämlich für den Gottesmord an dem jugendlichen Dionysos durch die titanischen Ahnen der Menschen

18 Vgl. dazu Kerényi, Karl.: Phytagoras und Orpheus, in [Ders.]: Humanistische Seelenforschung. München, 1966. S. 15-51; sowie Burkert, W.: Orphism and Bacchic Mysteries. New Evidence and Old Problems of Interpretation. Berkeley, 1977.

19 Homer II, 23,62–84,91-107

20 In den Dialogen Phaidon, Phaidros und Timaios, vor allem aber in der Politeia und den Nomoi.

21 Zander, Helmut: Geschichte der Seelenwanderung in Europa. Alternative religiöse Traditionen von der Antike bis heute. Darmstadt, 1999. S. 80.

22 Hasenfratz, Hans-Peter: Die Seele – Einführung in ein religiöses Grundphänomen. Zürich, 1986. S. 70f.

23 Glasenapp a.a.O., S. 230

24 Vgl. Lonigan, P. R.: The Druids. Priests of the Ancient Celts. Westport, 1996 (Contributions to the Study of Religion 45), S. 14f. u. 98f.; sowie Maier, B.: Die Religion der Kelten. Götter – Mythen – Weltbild. München, 2001. S. 142-144.

25 Ahn, Gregor: Unsterblichkeit – Auferstehung – Reinkarnation. Postmortalitätsmodelle in der europäischen Religionsgeschichte, in: Kontinuitäten und Brüche in der Religionsgeschichte. Festschrift für Ander Hultgård zu seinem 65. Geburtstag am 23.12.2001, hrsg. von Michael Stausberg. Berlin, 2001 (RGA-Erg.-Bd. 31), S. 12-43, zitierte Stelle S. 22f.

26 Brüning, Christian: Die Wilde Jagd. Kiel, 2007 (Herdfeuer 16), S. 33

27 List, Guido (von): Das Geheimnis der Runen. Groß-Lichtenfelde 1907, S. 7 f.; sowie [Ders.]: Die Armanenschaft der Ario-Germanen. Zweiter Teil. Wien, 1911. S. 11

28 Ahn a.a.O., S. 19 u. 36

29 Linzie, Bil: Gab es einen altnordischen Glauben an Wiedergeburt? In: Heidnisches Jahrbuch 5 (2011)

30 Hasenfratz a.a.O., S. 91f.

31 Ebenda S. 92f.

32 Vgl. dazu ausführlich Gladikow, Burkhard: Mögliche Gegenstände und notwendige Quellen einer Religionsgeschichte, in: Germanische Religionsgeschichte. Quellen und Quellenprobleme, hrsg. von Heinrich Beck. Berlin, 1992. S. 3-26 (RGA, Erg.-Bd. 5); sowie [Ders.]: Europäische Religionsgeschichte, in: Lokale Religionsgeschichte, hrsg. von Hans. G. Kippenberg. Marburg, 1995. S. 21-42

33 Helgaqviða Hundingsbana önnor (Das Zweite Helgilied im Codex Regius), 40-51.

34 Vgl. Sundermeier, Theo: The Individual and the Community in African Traditional Religions. Hamburg, 1998 (Beiträge zur Missionswissenschaft und Interkulturellen Theologie 6), S. 14-17; Abimola, Wande: The Yoruba Concept of Human Personality, in: La Notion de Personne en Afrique Noir. Paris, 1973, S. 73-89; Bastide, Roger: Le Principe d’Individuation (Contribution à une Philosophie Africaine), Ebenda S. 33-43

35 Bainbridge, William: Über das heidnische Ego, in: Herdfeuer 8 (2005), S. 18f.

Erschienen 2008 in Heidnisches Jahrbuch 3 und 2013 in Herdfeuer 37

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