Sind wir „folkish“?

von Tim Peters

Man begegnet im Zusammenhang mit Asatru gelegentlich dem Adjektiv „folkish“ oder seiner – wohl etwas heiklen – deutschen Übersetzung „völkisch“. Etwas seltener hört oder liest man auch das als Gegenbegriff gemeinte „universalist(isch)“. Der Eldaring macht sich diese Begrifflichkeiten nicht zu eigen. Da sie aber immer wieder auftauchen und regelmäßig für Diskussionsstoff und in nicht unerheblichen Maße für Irritation sorgen, sei hier einmal kurz auf sie eingegangen – allerdings weniger auf ihre Bedeutung sondern vielmehr auf die Gründe, warum wir sie eben nicht für sinnvoll erachten und deshalb nicht verwenden wollen.

„Folkish“ ist eine Selbstbezeichnung einzelner Heiden und heidnischer Gruppierungen (ursprünglich vor allem im englischsprachigen Raum), die damit eine Lesart ihrer Religion kennzeichnen möchten, die besonderen Wert auf die ethnische Komponente der Tradition legt. Das Spektrum reicht dabei von durchaus gemäßigten, toleranten Personen bis hin zu ausgesprochenen Rassisten.

Ist nun der Begriff des „folkish“ schon problematisch genug, so erweist sich das „universalist“ bei näherer Betrachtung als Schimäre, die in der Konsequenz auch das „folkish“ in einem äußerst fragwürdigen Licht erscheinen läßt. Die radikaleren Vertreter der „folkish“-Richtung haben den Begriff „universalist“ geprägt, um einen Gegenbegriff zu ihrem „folkish“ zu haben – offenbar gefangen in einem Dualismus-Bedürfnis, dem unsere „westliche“ Kultur seit Etablierung des Christentums so verhaftet scheint, das aber ganz und gar nicht heidnischer Weltsicht entspricht.

Tatsächlich dürfte man aber vergeblich nach einem Heiden suchen, der sich selbst als „universalistisch“ bezeichnen würde. Der Begriff ist auch schon deshalb unsinnig, weil er eine Allgemeingültigkeit behauptet, die so niemand im Heidentum vertritt. Eine „universalistische“ Religion begegnet uns zum Beispiel im missionsbeflissenen Christentum. Kein noch so eifriger Heide würde aber von seiner Religion behaupten, sie sei die allein seligmachende Lehre für alle Menschen dieser Erde. Ganz im Gegenteil – Heiden kennen und respektieren eine Vielzahl verschiedenster religiöser Traditionen mit jeweils ganz eigenen Mythen und Gottheiten.

Es gibt faktisch kein „universalist Asatru“. Das ist vielmehr ein rein hypothetisches Konstrukt, das auf einer gedachten „Asatru-Skala“ an demjenigen Ende zu finden wäre, das der rassistischen Form des „folkish“ gegenüber läge. Man könnte dagegen vielleicht davon sprechen, daß es eine exklusive und eine tolerante Auffassung von Heidentum gibt. Die exklusive Richtung beschränkt normativ (d.h. vorschreibend) die Möglichkeit der Teilhabe an der Religion auf eine bestimmte Gruppe (die verschieden definiert sein mag). Die tolerante Richtung akzeptiert prinzipiell jeden als legitimes „Mitglied“ dieser Religion. Allerdings werden auch die Vertreter der letzteren Richtung, zu der wohl auch der Eldaring zu rechnen wäre, in individuell verschiedenem Grade einen ethnischen Fokus anerkennen. Denn dass einzelne heidnische Religionen jeweils Produkte bestimmter Kulturen und Völker sind, wird niemand leugnen können oder wollen.

Wie und warum aber sollte sich aus der Tatsache, dass heidnische Religionen ethnischen Ursprungs sind, eine ethnische „Zulassungsbeschränkung“ ableiten lassen? Gegen wen wollte man sich denn damit abgrenzen und vor allem, zu welchem Zweck? Kultur ist keine Frage der Hautpigmentierung, Religion ist nicht in den Genen kodiert. Ein Mensch, der in einer von der unseren gänzlich verschiedenen Kultur geboren und aufgewachsen ist, wird kaum den brennenden Wunsch verspüren, sich ausgerechnet uns anzuschließen. Wenn doch, so würde uns das zwar wahrscheinlich wundern – aber wenn jemand sich von den Asen gerufen fühlt, soll uns das Grund genug sein, ihn aufzunehmen. Wer auch immer sich zu uns gesellt, wird dafür seine ganz persönlichen Gründe haben. Solange die betreffende Person unsere Grundsätze und Ziele teilt und respektiert, ist sie herzlich willkommen.

Dass von all dem abgesehen, die eigene „Ethnizität“ in genetischer Hinsicht gerade für einen modernen Mitteleuropäer nahezu unmöglich festzustellen oder auch nur klar zu definieren ist, bedarf eigentlich kaum noch der Erwähnung. Genausowenig wie die Tatsache, dass unsere Vorfahren in solchen Kategorien überhaupt nicht gedacht haben.

Der Eldaring vermeidet den Begriff „folkish“, selbst in seiner gemäßigten Auffassung. Nicht nur, weil seine wörtliche deutsche Übersetzung ihn in die Nähe unguter Verwendungen in der jüngeren deutschen Vergangenheit rückt. Zwar ist „völkisch“ natürlich kein „Nazi-Wort“ per se. Aber es wäre nur schwer vermittelbar, dass man „völkisch“ nicht in dieser Bedeutung gebraucht, da dieses Adjektiv ansonsten in unserer Sprache kaum je Verwendung findet. Viel wichtiger: Der Begriff „folkish“ ist vollkommen überflüssig. In seiner gemäßigten, nicht-rassistischen Form bedeutet er nichts anderes, als dass Asatru eine ethnische Religion ist. Aber das ist Asatru per definitionem. Warum also dafür einen eigenen Begriff prägen? Und vor allem: Macht es Sinn, selbst wenn man zu dieser gemäßigten Richtung neigt, sich in eine Schublade zu begeben, die unter anderem auch Rassisten enthält? Das führt lediglich zu Erklärungsnöten, schlimmstenfalls zu eigentlich völlig unnötigen Auseinandersetzungen und Anfeindungen.

Neue begriffliche Unterscheidungen oder Kategorien einzuführen macht ganz allgemein nur dann Sinn, wenn sie helfen Klarheit zu schaffen. Das Gegenteil aber ist hier der Fall – es wird nicht nur mehr Verwirrung erzeugt, es werden auch Grenzen geschaffen, wo keine sein müssten; Missverständnisse und Feindseligkeiten sind vorprogrammiert.

Der Eldaring spricht niemandem das Recht ab, sich als „folkish“, „universalistisch“ oder wie auch immer zu betiteln. Auch wollen wir niemanden in die „rechte“ oder sonst eine Ecke stellen, bloß weil er diese oder jene Bezeichnung für sich verwendet. Niemand ist gleich ein Neonazi, nur weil er sich „folkish“ nennt. Aber die ganze „folkish/universalist“-Debatte ist im Sinne unserer Sache nur kontraproduktiv. Wir brauchen sie nicht!

Erschienen 2003 in Herdfeuer 1

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