Ostara – eine germanische Göttin?

von Kurt Oertel

Gegen die Existenz dieser Göttin werden in regelmäßigen Abständen (meistens pünktlich zu Ostern) auch in populären Medien heftige Zweifel vorgebracht. Hier eine Bestandsaufnahme der Fakten und Argumente. Gegen die Existenz einer germanischen Göttin mit dem Namen Ostara, die mit einem Frühlingsfest verbunden gewesen sein soll und auf deren Namen das heutige Osterfest zurückgeht, sind sehr viele Bedenken vorgebracht worden. Die Skepsis ist auch nicht ganz unberechtigt.

Andererseits sind die Indizien aber doch nicht so schlecht, wie vielfach behauptet. Vor allem die oft und völlig kritiklos nachgebetete Behauptung, Jacob Grimm habe diese Göttin erst nachträglich aus dem Namen des Osterfestes erschlossen, verrät grundlegende Unkenntnis der Quellen und stellt die Tatsachen auf den Kopf. Denn Grimm bezog sich ja gerade auf eine alte Quelle, die die Existenz der Gottheit behauptet:

„Eostur-monath, qui nunc paschalis mensis interpretatur, quondam a dea illorum, quae Eostrae vocabatur, et cui in illo festa celebrabant, nomen habuit; a cuius nomine nunc paschale tempus cognominant, consueto antiquae observationis vocabulo gaudia novae solemnitatis vocantes.“

„Der Ostermonat, der heutzutage als Passah-Monat übersetzt wird, hatte früher seinen Namen von einer Göttin jener [Leute], welche Eostra genannt wurde, und der sie in jenem [Monat] Feste feiern; von ihrem Namen geben sie der Osterzeit einen Beinamen, indem sie mit der gewohnten Bezeichnung für einen alten Gottesdienst die Freuden einer neuen Feierlichkeit benennen.“

So steht es bei Beda Venerabilis (De Temporum Ratione, cap. 15), einem englischen Kleriker, der zu Beginn des 8. Jahrhunderts die heute maßgeblichen Quellen über die Bekehrung der Angelsachsen und die frühe Kirchengeschichte Britanniens verfasste. Und mit einer gewissen Beruhigung scheint der geistliche Chronist zu vermerken, dass der fragliche Zeitraum ja nun „Passah-Monat“ (paschalis mensis) heißt, und nicht mehr den heidnischen Namen trägt.

Grimm hat aus dieser Stelle nun auf eine auch im weiteren germanischen Raum bekannte Göttin geschlossen, deren Namen er für den Kontinent als „Ostara“ ansetzt. Diese Form hat er aus dem althochdeutschen Monatsnamen „ostarun“ abgeleitet, wobei es erwiesen ist, dass das heutige Osterfest nach diesem – auch im deutschen Raum – heidnischen (!) Monatsnamen benannt ist und nicht etwa umgekehrt.

Um es gleich zu sagen:

Die von Grimm erschlossene Form „Ostara“ ist allerdings schon deshalb sehr zweifelhaft, weil niemand weiß, ob sie zu der Zeit, als sich die althochdeutsche Form des Monatsnamens „ostarun“ entwickelt hatte, überhaupt noch verehrt wurde. Denn vom heutigen Norddeutschland abgesehen war der größte Teil des Landes da schon christlich. Durch die sprachliche Rückführung der verschiedenen Formen lässt sich aber problemlos die altgermanische Form „Austro“ erschließen, was sich einfach mit „die Östliche“ übersetzen lässt. Und das wäre dann der alte und korrekte Name der Göttin … wenn es sie denn wirklich gegeben hat.

Im indoeuropäischen Kontext ist die Göttin außerordentlich gut belegt. Im Altindischen lautet das Wort „usastara“, die entsprechende Göttin Usas, und sie ist die meistgenannte Göttin des Rig-Veda. Ihr entspricht die litauische Ausrine, die Göttin der Morgendämmerung, die mit zahlreichen Mythen bezeugt ist. Sie wird auch als „dughtar dievo“ (Tochter des Himmels) bezeichnet. Die griechische Eos dürfte hinreichend bekannt sein, ebenso die römische Aurora, deren Mythologie aber auf die mater matura (Die Mutter des Morgens) übergegangen ist, der eigene Tempel geweiht waren. Die Existenz einer allgemein verbreiteten indoeuropäischen Göttin der Morgenröte und des Sonnenaufgangs, vielleicht des Lichts schlechthin, deren Name auch sprachlich überall eng mit unserer hypothetischen Austro verwandt ist, ist damit zweifelsfrei belegt.

All das ist zwar noch kein Beweis dafür, dass es sie deshalb bei den Germanen auch gegeben haben muss, denn die individuelle Entwicklung der einzelnen Gottheiten dürfte in den indoeuropäischen Kulturen nach Trennung der ursprünglichen Sprachfamilien noch erhebliche Sonderwege durchlaufen haben. Auf einfache Weise widerlegt wird dadurch aber schon mal die unsinnige Behauptung, dass es außer dem deutschen Wort „Ostern“ überhaupt keinen weiteren Anhaltspunkt für die Existenz einer solchen Göttin gebe.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft nun das Originalzitat von Beda selbst. Es wurde nämlich auch ihm unterstellt, er habe diese Göttin namens Eostra erfunden. So noch am schärfsten Wolfgang Golther in seinem „Handbuch der Germanischen Mythologie“. Golthers Argument ist, dass die germanischen Monate auch sonst nicht nach Gottheiten benannt waren. Er stellt (zu Recht) die Existenz tatsächlicher Gottheiten hinter den altnordischen Monatsnamen Gói und þorri in Frage. Allerdings ist das kein schlagkräftiges Argument, denn altnordische Eigenheiten taugen generell schlecht dazu, Fragen zu viel älteren kontinentalen Verhältnissen beweisen oder widerlegen zu wollen. Immerhin muss auch er zugeben, dass die germanische Existenz einer Göttin der Morgenröte durchaus möglich, wenn auch (damals!) durch kein über Beda hinausgehendes Zeugnis erwiesen war. Auch Simrock hält den Namen der Göttin für eine Erfindung Bedas, leugnet aber ebenfalls nicht generell deren mögliche Existenz.

Beide Meinungen stammen aus den gefährlichsten Tiefen des 19. Jahrhunderts, und ausgerechnet darauf berufen sich immer eben jene, die sonst nicht genug Gift auf die stets unermüdlich angeprangerten Irrwege der „Germanenforschung“ genau dieser Zeit spritzen können. Alle neueren Veröffentlichungen zum Thema stehen der Existenz der Eostra denn auch zunehmend positiver gegenüber. Philippson billigt Bedas Nachricht absolute Glaubwürdigkeit zumindest für den angelsächsischen Bereich zu, ist aber skeptisch, ob es sich um eine im gesamten westgermanischen Gebiet bekannte Gottheit gehandelt habe. De Vries, Simek und andere neuere Arbeiten sehen dagegen kaum Hindernisse für solch eine Annahme.

Bereits Grimm hat die sehr berechtigte Frage gestellt, warum Beda eine heidnische Göttin hätte erfinden sollen. Kirchliche Chronisten pflegten die alten Gottheiten mit christlichem Abscheu zu betrachten und nannten Namen durchweg nur in den Fällen, wo es sich absolut nicht vermeiden ließ oder wenn es der Bekehrungspraxis des „teuflischen Blendwerks“ dienstbar gemacht werden konnte. Die Vermutung, Beda habe hier eine Ätiologie (d.h. Ursprungserklärung des Namens) geben wollen, ist zwar theoretisch denkbar, angesichts der sonstigen Praxis christlicher Chronisten aber eher unwahrscheinlich und müsste zunächst einmal überzeugend begründet werden, was bezeichnenderweise nie erfolgt ist. Gerade Beda gilt in seinen Nachrichten nämlich als sehr zuverlässig.

Wie steht es nun mit der Annahme, dass die Göttin zwar bei Angeln und Sachsen bekannt, darüber hinaus aber nicht allgemein verbreitet war? Dafür könnte sprechen, dass uns Personennamen mit dem Namensteil nur aus angelsächsischen Quellen überliefert sind: Easterbeald, Easterhild, Easterwine, Easterwulf usw. Gleichzeitig ist deren Vorkommen aber wieder ein starker Hinweis auf die tatsächliche Existenz der Gottheit, denn Personennamen, die vom Namen eines Monats oder einer Jahreszeit abgeleitet sind, gibt es im germanischen Bereich überhaupt nicht. Und die Bedeutung „Ost-“ als Namensbestandteil würde ebenfalls wenig Sinn ergeben und hätte keinerlei gemeingermanischen Parallelen. Die Existenz dieser belegten Personennamen wird in der Diskussion denn auch regelmäßig unterschlagen (wohl eher aus Unkenntnis über die altenglischen Quellen insgesamt, und nicht aus Ignoranz).

Es gibt eine weitere Seltsamkeit zu klären: der Name Ostern für das Fest war außer in England (wo er sich dann entgegen der frommen Hoffnung Bedas doch gehalten hat) ursprünglich nur noch in Süddeutschland bekannt. Von dort ist er erst in vergleichsweise neuerer Zeit wieder ins allgemeine Hochdeutsch übernommen worden. In Norddeutschland hieß Ostern nämlich über Jahrhunderte „Paschen“, auch Skandinavien kennt nur diese Form (norw.: påske ; isl.: páska), die natürlich über das Kirchenlateinische vom hebräischen „Passah“ abgleitet ist.

Diese rätselhafte geographische Verteilung des Wortes ist zwar nicht ohne Erklärungsversuche geblieben. Beide Erklärungsansätze aber können nicht befriedigen.

Einerseits wurde vermutet, dass sich die alte norddeutsche Form „Paschen“ durch den starken Einfluss der Kölner Kirchenprovinz über den nördlichen Teil Deutschlands bis nach Skandinavien verbreitet hat und dass dadurch die „Ostern-Gebiete“ Süddeutschlands und Englands als Randreliktgebiete stehen geblieben sind. Das wäre dann ein starkes Argument dafür, dass Süddeutschland auch eine vorchristliche Ostara/Eostre/Austro-Tradition besaß.

Die andere Erklärung behauptet, der süddeutsche Name sei auf die angelsächsische Herkunft der dort tätigen Missionare zurückzuführen. Genau diese Möglichkeit aber bietet zwei Schwierigkeiten: zum einen waren die Missionare eher irischer und nicht angelsächsischer Herkunft. Zum anderen hätten gerade sie doch (wie auch Beda) das biblische „Passah“ dem heidnischen Namen des Festes vorgezogen. Dass ausgerechnet sie ohne Not einen heidnischen Namen für ein christliches Fest in Deutschland erst eingeführt haben sollen, ist doch sehr unwahrscheinlich.

Nun gibt es noch eine neue und recht spitzfindige Erklärung für das Wort Ostern. Die beruht auf der Tatsache, dass das altnordische Wort „austr“ (Osten, östlich) in einer einzigen Nebenbedeutung auch „Wasser“ heißen kann, von der dann auch die Verbform „ausa“ (schöpfen/gießen/besprengen) gebildet wurde. Und die Bezeichnung „ausa vatni“ (mit Wasser besprengen) ist uns aus den skandinavischen Quellen tatsächlich für die Wasserweihe bei der Namensgebung eines Kindes bekannt. Diese sei nun angeblich eine rein literarische Übernahme der christlichen Taufe und keineswegs ein heidnischer Ritus. Das Wort Ostern soll also davon abgeleitet sein und somit nichts anderes als „Wasserfest“ (= Tauffest) bedeutet haben.

Diese Erklärung ist einigermaßen bizarr, und zwar aus folgenden Gründen: die Nebenbedeutung „Wasser“ ist im Westgermanischen unbekannt. Man müsste also von einer Übernahme des Wortes frühestens erst ab dem 13. Jahrhundert aus dem bereits christlichen Skandinavien nach Deutschland ausgehen, was extrem unwahrscheinlich ist. Der Name ist für den deutschen Bereich aber schon viel früher belegt und reicht hierzulande ganz klar in vorchristliche Zeit zurück.

Sehr viel entscheidender aber ist, dass in den altnordischen Quellen durchweg und sehr deutlich zwischen heidnischer Wasserweihe und christlicher Taufe differenziert wird: erstere wird mit „ausa vatni“ (mit Wasser besprengen) bezeichnet, während letztere immer mit „skí­ra“ (reinigen) bezeichnet wird. „Mit Wasser besprengen“ kann sich schon allein deshalb nicht auf die christliche Taufe beziehen, weil die damals immer im Untertauchen des ganzen Körpers bestand und nicht in der heutigen Form praktiziert wurde, die paradoxerweise wieder der heidnischen Wasserweihe entspricht.

Dass die Wasserweihe bei Neugeborenen ein heidnisches Ritual ist, wird zunächst am indoeuropäischen Vergleichsmaterial klar, zweitens an den komplizierten Rechtsfolgen des Ritus, die in skandinavischen Quellen des 13. Jh. ausführlich belegt sind (und die sich schwerlich in nur so kurzer christlicher Zeit konstituiert haben können), und drittens haben wir eine sehr unverdächtige Quelle in einem Brief Papst Gregors d. Gr. an Bonifatius, in dem über das Faktum einer bei den germanischen Heiden praktizierten „Taufe“ lamentiert wird.

Was in der Diskussion stets (wohl wiederum eher aus Unkenntnis als aus Ignoranz, diesmal allerdings weit schwerer zu rechtfertigen!) unterschlagen wird, ist ein weithin bekannter archäologischer Befund.

1958 hat man in Morken-Harff am Niederrhein über 150 Weihesteine aus der Zeit um 200 n.d.Z. entdeckt, die alle einer Göttin namens Austriahenae geweiht sind, sodass hier ein bedeutendes Kultzentrum dieser Gottheit nachweisbar ist. Der Name ist eindeutig germanischen Ursprungs und der Namensteil „Austr-“ wird übereinstimmend als „Osten-“ übersetzt. Seltsamerweise wird dieser Name trotz völliger sprachlicher Übereinstimmung nie mit dem der erschlossenen „Austro“ in Verbindung gesetzt. Sie war zu dieser Zeit und in dieser Region allerdings bereits mit dem Matronenkult verschmolzen. Die Matronis Austriahenis sind damit aber der am häufigsten belegte Matronenname überhaupt. Und es wäre möglich, dass wir hier den über 150mal in Stein gehauenen Beweis für die Existenz der erschlossenen Austro vorliegen haben.

Fazit:

Die Existenz der fraglichen Gottheit ist zwar mit etlichen Unsicherheiten behaftet. Im Gegensatz zu vielen anderslautenden Behauptungen ist aber jeder Versuch eines Gegenbeweises mangels überzeugender Argumente (und vor allem mangels Kenntnis der harten Fakten!) bisher noch kläglicher gescheitert.

Bei all dem erstaunt vor allem die Hartnäckigkeit der entsprechenden Versuche, deren Motive und Stoßrichtungen nicht ganz ersichtlich sind. Denn fast alle in den antiken lateinischen Quellen genannten Gottheitsnamen der Germanen sind mit weit größerer Unsicherheit behaftet (nur einmal erwähnt, keine Entsprechung in den altnordischen Quellen, keine theophoren Orts- oder Personennamen, keine archäologischen Befunde), ohne dass man hier mit vergleichbarem Eifer agitieren würde. Könnte es sein, dass die Kritiker einem (schon lange relativierten) Bild des 19. Jahrhunderts verhaftet sind, das in romantischem Überschwang ein aus literarischer Erwähnung und heutigem Osterbrauchtum verklärtes Konstrukt einer Hochgöttin postulierte, die auf einem von Hasen gezogenen Wagen – gefüllt mit bunten Eiern – den Frühling brachte?

Die Rückführung heutigen Osterbrauchtums auf eine solche Göttin steht in der Tat auf schwachen Füßen und lässt sich durch nichts belegen. Irgendwelche Formen von Frühlingsfeiern, auf die sich vieles noch heute praktiziertes Brauchtum (vor allem Osterfeuer und Maifeierlichkeiten) zurückführen lassen dürfte, sind zwar gut belegt. Auch bemalte Eier als Fruchtbarkeitssymbol sind in vielen Kulturen nachweisbar. Dennoch kann man daraus nicht schließen, dass diese Kombinationen des heutigen Brauchtums uralt sind. Das Lehrstück des zwar uralt wirkenden, aber völlig neumodischen „Weihnachtsbaumes“ sollte in dieser Hinsicht eine gute Lehre sein.

Der Name Ostara ist nicht sehr verlässlich. Denn niemand weiß, ob die Namensform der möglichen Gottheit den sprachlichen Wechsel des Monatsnamens zum Althochdeutschen noch mitgemacht hat. Mit der Form „Austro“ ist man auf alle Fälle auf der sichereren Seite.

In jedem Fall dürfte es sich um eine sehr untergeordnete Gottheit gehandelt haben, die sich weder im Kult noch in der Mythologie, sondern bestenfalls im jahreszeitlichen Brauchtum niedergeschlagen hat. Ihre Stellung dürfte eher der der Idisen oder Matronen entsprochen haben. Möglich ist, dass es sich wirklich nur um eine Personifizierung des Frühlings gehandelt hat. Die Indizien sprechen insgesamt aber eher für als gegen ihre Existenz. Den teilweise erbitterten Streit, der sich an der Frage ihrer Existenz entzündet hat, hat sie jedenfalls nicht verdient.

Erschienen 2005 in Herdfeuer 8

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